Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


Lavater würde also freilich hier lauter Wunder sehen; allein leere und blos allein Einbildung mag doch auch alles nicht seyn. Die Einwirkung der Seele in den Körper und umgekehrt ist sehr mannigfaltig. NB. Madam B. hat noch in Lindau beständig fort Erscheinungen.

Auf einen von mir an den würdigen Herrn Pfarrer Müller über diese Sache geschriebenen Brief, worin ich die Visionen der Madam Beuter für nichts anders als für Geburten der Einbildungskraft erklärte, und ich mich nach mancherlei Umständen des sonderbaren Weibes genauer erkundigte, erhielt ich folgende Antwort:

"Jhre Urtheile, daß bei Madam B. alles Einbildung sey, unterschreibe ich, doch mit der Einschränkung, - woher kommt es doch, daß sie alles nach 10 bis 30 Jahren noch so pünktlich genau weiß, und keine Absicht zu blenden, oder zu betrügen haben kann;*) noch bis

*) Nicht alle Schwärmer und Geisterseher haben grade die Absicht zu betrügen, - wollen sie betrügen: so sind sie Schurken; aber es giebt gewisse gutmüthige Leute jener Art, welche keine andere Absicht haben, als das, was sie wirklich glauben, auch bei andern geltend zu machen. Sie sind Betrogene, und hintergehen andere, ohne daß sie es wissen. Freilich ist's wohl nicht zu läugnen, daß die Neigung, von sich etwas Sonderbares zu sagen, der Werth, den sie auf ihre mystischen Grillen legen, das Staunen und Horchen der Leichtgläubigen bei ihren Erzählungen, und eine Dosis vom Aberglauben, sie mit antreibt, ihre Träumereien für lauter Wahrheit auszugeben. P.


Lavater wuͤrde also freilich hier lauter Wunder sehen; allein leere und blos allein Einbildung mag doch auch alles nicht seyn. Die Einwirkung der Seele in den Koͤrper und umgekehrt ist sehr mannigfaltig. NB. Madam B. hat noch in Lindau bestaͤndig fort Erscheinungen.

Auf einen von mir an den wuͤrdigen Herrn Pfarrer Muͤller uͤber diese Sache geschriebenen Brief, worin ich die Visionen der Madam Beuter fuͤr nichts anders als fuͤr Geburten der Einbildungskraft erklaͤrte, und ich mich nach mancherlei Umstaͤnden des sonderbaren Weibes genauer erkundigte, erhielt ich folgende Antwort:

»Jhre Urtheile, daß bei Madam B. alles Einbildung sey, unterschreibe ich, doch mit der Einschraͤnkung, – woher kommt es doch, daß sie alles nach 10 bis 30 Jahren noch so puͤnktlich genau weiß, und keine Absicht zu blenden, oder zu betruͤgen haben kann;*) noch bis

*) Nicht alle Schwaͤrmer und Geisterseher haben grade die Absicht zu betruͤgen, – wollen sie betruͤgen: so sind sie Schurken; aber es giebt gewisse gutmuͤthige Leute jener Art, welche keine andere Absicht haben, als das, was sie wirklich glauben, auch bei andern geltend zu machen. Sie sind Betrogene, und hintergehen andere, ohne daß sie es wissen. Freilich ist's wohl nicht zu laͤugnen, daß die Neigung, von sich etwas Sonderbares zu sagen, der Werth, den sie auf ihre mystischen Grillen legen, das Staunen und Horchen der Leichtglaͤubigen bei ihren Erzaͤhlungen, und eine Dosis vom Aberglauben, sie mit antreibt, ihre Traͤumereien fuͤr lauter Wahrheit auszugeben. P.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0043" n="41"/><lb/><hi rendition="#b"><persName ref="#ref0027"><note type="editorial">Lavater, Johann Caspar</note>Lavater</persName></hi> wu&#x0364;rde also freilich hier lauter Wunder sehen;                   allein leere und blos allein Einbildung mag doch auch alles nicht seyn. Die                   Einwirkung der Seele in den Ko&#x0364;rper und umgekehrt ist sehr mannigfaltig. <hi rendition="#aq">NB.</hi> Madam B. hat noch in Lindau besta&#x0364;ndig fort                   Erscheinungen.</p>
            <p>Auf einen von mir an den wu&#x0364;rdigen Herrn Pfarrer <persName ref="#ref0090"><note type="editorial">Mu&#x0364;ller, Melchior Ludwig</note>Mu&#x0364;ller</persName> u&#x0364;ber diese Sache                   geschriebenen Brief, worin ich die Visionen der Madam Beuter fu&#x0364;r nichts anders als                   fu&#x0364;r Geburten der Einbildungskraft erkla&#x0364;rte, und ich mich nach mancherlei Umsta&#x0364;nden                   des sonderbaren Weibes genauer erkundigte, erhielt ich folgende Antwort:</p>
            <p rend="indention2">»Jhre Urtheile, daß bei Madam B. alles Einbildung sey,                   unterschreibe ich, doch mit der Einschra&#x0364;nkung, &#x2013; woher kommt es doch, daß sie                   alles nach 10 bis 30 Jahren noch so pu&#x0364;nktlich genau weiß, und keine Absicht zu <hi rendition="#b">blenden,</hi> oder zu <hi rendition="#b">betru&#x0364;gen</hi> haben kann;*)<note place="foot"><p>*) Nicht alle Schwa&#x0364;rmer und Geisterseher haben grade die Absicht zu                         betru&#x0364;gen, &#x2013; wollen sie betru&#x0364;gen: so sind sie Schurken; aber es giebt gewisse                         gutmu&#x0364;thige Leute jener Art, welche keine andere Absicht haben, als das, was                         sie wirklich <hi rendition="#b">glauben,</hi> auch bei andern geltend zu                         machen. Sie sind <hi rendition="#b">Betrogene,</hi> und hintergehen andere,                         ohne daß sie es wissen. Freilich ist's wohl nicht zu la&#x0364;ugnen, daß die                         Neigung, von sich etwas Sonderbares zu sagen, der Werth, den sie auf ihre                         mystischen Grillen legen, das Staunen und Horchen der Leichtgla&#x0364;ubigen bei                         ihren Erza&#x0364;hlungen, und eine Dosis vom Aberglauben, sie mit antreibt, ihre                         Tra&#x0364;umereien fu&#x0364;r lauter Wahrheit auszugeben.</p><p rendition="#right"><hi rendition="#b"><persName ref="#ref0002"><note type="editorial">Pockels, Carl Friedrich</note>P.</persName></hi></p></note> noch bis<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0043] Lavater wuͤrde also freilich hier lauter Wunder sehen; allein leere und blos allein Einbildung mag doch auch alles nicht seyn. Die Einwirkung der Seele in den Koͤrper und umgekehrt ist sehr mannigfaltig. NB. Madam B. hat noch in Lindau bestaͤndig fort Erscheinungen. Auf einen von mir an den wuͤrdigen Herrn Pfarrer Muͤller uͤber diese Sache geschriebenen Brief, worin ich die Visionen der Madam Beuter fuͤr nichts anders als fuͤr Geburten der Einbildungskraft erklaͤrte, und ich mich nach mancherlei Umstaͤnden des sonderbaren Weibes genauer erkundigte, erhielt ich folgende Antwort: »Jhre Urtheile, daß bei Madam B. alles Einbildung sey, unterschreibe ich, doch mit der Einschraͤnkung, – woher kommt es doch, daß sie alles nach 10 bis 30 Jahren noch so puͤnktlich genau weiß, und keine Absicht zu blenden, oder zu betruͤgen haben kann;*) noch bis *) Nicht alle Schwaͤrmer und Geisterseher haben grade die Absicht zu betruͤgen, – wollen sie betruͤgen: so sind sie Schurken; aber es giebt gewisse gutmuͤthige Leute jener Art, welche keine andere Absicht haben, als das, was sie wirklich glauben, auch bei andern geltend zu machen. Sie sind Betrogene, und hintergehen andere, ohne daß sie es wissen. Freilich ist's wohl nicht zu laͤugnen, daß die Neigung, von sich etwas Sonderbares zu sagen, der Werth, den sie auf ihre mystischen Grillen legen, das Staunen und Horchen der Leichtglaͤubigen bei ihren Erzaͤhlungen, und eine Dosis vom Aberglauben, sie mit antreibt, ihre Traͤumereien fuͤr lauter Wahrheit auszugeben. P.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/43
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/43>, abgerufen am 24.11.2024.