Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.
Noch muß ich erinnern: Madam trinkt viel Kaffe, ist von starker Person, vollblütig, hat in ihrer Ehe sehr misvergnügt gelebt; was ihr etwa halb schlafend mag (ich schreibe mit Fleiß mag, weil etwas Zuversichtliches ich und viele andre gern aus der Seelenkunde lesen möchten, nämlich was Ew... von dieser ganzen Sache, so wie Sie davon benachrichtigt worden sind, halten) geträumt haben, hält sie vor wirklich gesehen und gehört.*) Freilich ein *) Jch habe meine Meinung über Madam Beuter schon oben gesagt. Daß sie ihre Träumereien für etwas wirklich Gesehenes und Gehörtes hält, beweist nichts, da mir hundert Beispiele bekannt sind, daß lebhafte und vollblütige Leute ihre Träume für Wahrheit hielten, und, wegen der Lebhaftigkeit gewisser Vorstellungen, jene vom Wachen nicht unterscheiden# konnten, und - doch hatten sie offenbar geträumt.
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Noch muß ich erinnern: Madam trinkt viel Kaffe, ist von starker Person, vollbluͤtig, hat in ihrer Ehe sehr misvergnuͤgt gelebt; was ihr etwa halb schlafend mag (ich schreibe mit Fleiß mag, weil etwas Zuversichtliches ich und viele andre gern aus der Seelenkunde lesen moͤchten, naͤmlich was Ew... von dieser ganzen Sache, so wie Sie davon benachrichtigt worden sind, halten) getraͤumt haben, haͤlt sie vor wirklich gesehen und gehoͤrt.*) Freilich ein *) Jch habe meine Meinung uͤber Madam Beuter schon oben gesagt. Daß sie ihre Traͤumereien fuͤr etwas wirklich Gesehenes und Gehoͤrtes haͤlt, beweist nichts, da mir hundert Beispiele bekannt sind, daß lebhafte und vollbluͤtige Leute ihre Traͤume fuͤr Wahrheit hielten, und, wegen der Lebhaftigkeit gewisser Vorstellungen, jene vom Wachen nicht unterscheiden# konnten, und – doch hatten sie offenbar getraͤumt.
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daß sie, ohne zu variiren, auf das allerpuͤnktlichste noch mit einerlei Worten erzaͤhlen kann, was sie vor mehr als 20 Jahren vor Erscheinungen gehabt.«
Noch muß ich erinnern:
Madam trinkt viel Kaffe, ist von starker Person, vollbluͤtig, hat in ihrer Ehe sehr misvergnuͤgt gelebt; was ihr etwa halb schlafend mag (ich schreibe mit Fleiß mag, weil etwas Zuversichtliches ich und viele andre gern aus der Seelenkunde lesen moͤchten, naͤmlich was Ew... von dieser ganzen Sache, so wie Sie davon benachrichtigt worden sind, halten) getraͤumt haben, haͤlt sie vor wirklich gesehen und gehoͤrt.*) Freilich ein Lavater, der gleich uͤberall lauter Wunder sieht, der einen Maler, welcher ihn ganz und gar nicht getroffen, ploͤtzlich mit tausend Kuͤssen soll umarmt haben, als jener sich entschuldigte – »er finde vor itzo freilich keine Aehnlichkeit, allein so und um kein Puͤnktlein anders werde er als ein Verklaͤrter einmal im Himmel aussehen,« – ein
*) Jch habe meine Meinung uͤber Madam Beuter schon oben gesagt. Daß sie ihre Traͤumereien fuͤr etwas wirklich Gesehenes und Gehoͤrtes haͤlt, beweist nichts, da mir hundert Beispiele bekannt sind, daß lebhafte und vollbluͤtige Leute ihre Traͤume fuͤr Wahrheit hielten, und, wegen der Lebhaftigkeit gewisser Vorstellungen, jene vom Wachen nicht unterscheiden# konnten, und – doch hatten sie offenbar getraͤumt.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/42>, abgerufen am 16.02.2025. |