übertrifft und ganz verdunkeln kann. Gesellt sich dazu nun noch irgend eine andre religiöse Grille, Bilder und Gefühle von einer geträumten himmlischen Entzückung; ist die Seele von feurigen Gedanken an Gott und den Erlöser, oder von schrecklichen Vorstellungen an einen Teufel eingenommen: so kann die Phantasie mit dem armen Menschen machen, was sie will, so sieht er Dinge, die nie existirt haben, und nie existiren werden, hört Stimmen und Worte, die nie ausgesprochen worden sind, macht Spatzierfahrten durch den Himmel, - so wie ihn der Enthusiast irgend einmal aus einem Gemälde, oder in einer Predigt, oder in einem mystischen Erbauungsbuche abgeschildert gefunden hat. Die weibliche Seele, die ihre Natur auch im Traume nicht verläugnen kann, erblickt männliche Gestalten, Engel u. dergl., wird von ihnen holdselig angeredet, und die Gottheit kommt wohl gar selbst, bei der Phantastinn ihren Besuch abzulegen. Alles dies ist der erhizten Einbildungskraft so leicht, läßt sich so äusserst natürlich aus ihren Gesetzen, die auch bei den stärksten Verwirrungen der Phantasie noch zum Grunde liegen, erklären, daß ich nicht begreifen kann, wie es möglich ist, dergleichen natürliche Phänomene der Seele für übernatürliche Wirkungen einer höhern Offenbarung zu halten; nicht begreifen kann, warum dergleichen Offenbarungen ohne sehr wichtige grosse Zwecke da seyn sollen, ich will nicht sagen: ob überhaupt da seyn
uͤbertrifft und ganz verdunkeln kann. Gesellt sich dazu nun noch irgend eine andre religioͤse Grille, Bilder und Gefuͤhle von einer getraͤumten himmlischen Entzuͤckung; ist die Seele von feurigen Gedanken an Gott und den Erloͤser, oder von schrecklichen Vorstellungen an einen Teufel eingenommen: so kann die Phantasie mit dem armen Menschen machen, was sie will, so sieht er Dinge, die nie existirt haben, und nie existiren werden, hoͤrt Stimmen und Worte, die nie ausgesprochen worden sind, macht Spatzierfahrten durch den Himmel, – so wie ihn der Enthusiast irgend einmal aus einem Gemaͤlde, oder in einer Predigt, oder in einem mystischen Erbauungsbuche abgeschildert gefunden hat. Die weibliche Seele, die ihre Natur auch im Traume nicht verlaͤugnen kann, erblickt maͤnnliche Gestalten, Engel u. dergl., wird von ihnen holdselig angeredet, und die Gottheit kommt wohl gar selbst, bei der Phantastinn ihren Besuch abzulegen. Alles dies ist der erhizten Einbildungskraft so leicht, laͤßt sich so aͤusserst natuͤrlich aus ihren Gesetzen, die auch bei den staͤrksten Verwirrungen der Phantasie noch zum Grunde liegen, erklaͤren, daß ich nicht begreifen kann, wie es moͤglich ist, dergleichen natuͤrliche Phaͤnomene der Seele fuͤr uͤbernatuͤrliche Wirkungen einer hoͤhern Offenbarung zu halten; nicht begreifen kann, warum dergleichen Offenbarungen ohne sehr wichtige grosse Zwecke da seyn sollen, ich will nicht sagen: ob uͤberhaupt da seyn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0037"n="35"/><lb/>
uͤbertrifft und ganz verdunkeln kann. Gesellt sich dazu nun noch irgend eine andre religioͤse Grille, Bilder und Gefuͤhle von einer getraͤumten himmlischen Entzuͤckung; ist die Seele von feurigen Gedanken an Gott und den Erloͤser, oder von schrecklichen Vorstellungen an einen Teufel eingenommen: so kann die Phantasie mit dem armen Menschen machen, was sie will, so sieht er Dinge, die nie existirt haben, und nie existiren werden, hoͤrt Stimmen und Worte, die nie ausgesprochen worden sind, macht Spatzierfahrten durch den Himmel, – so wie ihn der Enthusiast irgend einmal aus einem Gemaͤlde, oder in einer Predigt, oder in einem mystischen Erbauungsbuche abgeschildert gefunden hat. Die weibliche Seele, die ihre Natur auch im Traume nicht verlaͤugnen kann, erblickt maͤnnliche Gestalten, Engel u. dergl., wird von ihnen holdselig angeredet, und die Gottheit kommt wohl gar selbst, bei der Phantastinn ihren Besuch abzulegen. Alles dies ist der erhizten Einbildungskraft so leicht, laͤßt sich so aͤusserst natuͤrlich aus ihren Gesetzen, die auch bei den staͤrksten Verwirrungen der Phantasie noch zum Grunde liegen, erklaͤren, daß ich nicht begreifen kann, wie es moͤglich ist, dergleichen natuͤrliche Phaͤnomene der Seele fuͤr uͤbernatuͤrliche Wirkungen einer hoͤhern Offenbarung zu halten; nicht begreifen kann, warum dergleichen Offenbarungen ohne sehr wichtige grosse Zwecke da seyn sollen, ich will nicht sagen: ob <hirendition="#b">uͤberhaupt da seyn<lb/></hi></p></div></div></div></body></text></TEI>
[35/0037]
uͤbertrifft und ganz verdunkeln kann. Gesellt sich dazu nun noch irgend eine andre religioͤse Grille, Bilder und Gefuͤhle von einer getraͤumten himmlischen Entzuͤckung; ist die Seele von feurigen Gedanken an Gott und den Erloͤser, oder von schrecklichen Vorstellungen an einen Teufel eingenommen: so kann die Phantasie mit dem armen Menschen machen, was sie will, so sieht er Dinge, die nie existirt haben, und nie existiren werden, hoͤrt Stimmen und Worte, die nie ausgesprochen worden sind, macht Spatzierfahrten durch den Himmel, – so wie ihn der Enthusiast irgend einmal aus einem Gemaͤlde, oder in einer Predigt, oder in einem mystischen Erbauungsbuche abgeschildert gefunden hat. Die weibliche Seele, die ihre Natur auch im Traume nicht verlaͤugnen kann, erblickt maͤnnliche Gestalten, Engel u. dergl., wird von ihnen holdselig angeredet, und die Gottheit kommt wohl gar selbst, bei der Phantastinn ihren Besuch abzulegen. Alles dies ist der erhizten Einbildungskraft so leicht, laͤßt sich so aͤusserst natuͤrlich aus ihren Gesetzen, die auch bei den staͤrksten Verwirrungen der Phantasie noch zum Grunde liegen, erklaͤren, daß ich nicht begreifen kann, wie es moͤglich ist, dergleichen natuͤrliche Phaͤnomene der Seele fuͤr uͤbernatuͤrliche Wirkungen einer hoͤhern Offenbarung zu halten; nicht begreifen kann, warum dergleichen Offenbarungen ohne sehr wichtige grosse Zwecke da seyn sollen, ich will nicht sagen: ob uͤberhaupt da seyn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:
Anmerkungen zur Transkription:
Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.
Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/37>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.