Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.
Der Minister wurde zu einem Mittagsschmause eingeladen, der ganze Magistrat, die Honoratioren der Stadt waren gegenwärtig, und der Minister kam neben dem Bürgermeister zu sitzen, dessen Rede ein so klägliches Ende genommen hatte. Beide liessen sich in ein Gespräch ein, und der Minister sahe nun, daß der leztere ein vortreflicher Kopf war, der sich sehr gut auszudrücken wußte, und sehr weitläuftige Kenntnisse verrieth. "Aber wie ist es möglich, fing der Minister endlich an, daß ein Mann von Jhrer Lebhaftigkeit, von ihrer Suade in seiner Rede stecken bleiben konnte?" "Jch will es Ew. Excellenz erklären, erwiederte der Bürgermeister: - "Jch hatte Ew. Excellenz nie gesehen. Jch stellte Sie mir als einen Mann mit einem grossen dicken Bauche, einer langen Wolkenparücke,
Der Minister wurde zu einem Mittagsschmause eingeladen, der ganze Magistrat, die Honoratioren der Stadt waren gegenwaͤrtig, und der Minister kam neben dem Buͤrgermeister zu sitzen, dessen Rede ein so klaͤgliches Ende genommen hatte. Beide liessen sich in ein Gespraͤch ein, und der Minister sahe nun, daß der leztere ein vortreflicher Kopf war, der sich sehr gut auszudruͤcken wußte, und sehr weitlaͤuftige Kenntnisse verrieth. »Aber wie ist es moͤglich, fing der Minister endlich an, daß ein Mann von Jhrer Lebhaftigkeit, von ihrer Suade in seiner Rede stecken bleiben konnte?« »Jch will es Ew. Excellenz erklaͤren, erwiederte der Buͤrgermeister: – »Jch hatte Ew. Excellenz nie gesehen. Jch stellte Sie mir als einen Mann mit einem grossen dicken Bauche, einer langen Wolkenparuͤcke, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0035" n="33"/><lb/> solche Rede sollte ihm auch zu *** von dem dortigen Buͤrgermeister gehalten werden, welches ein ausserordentlich geschickter, und sonst sehr beredter Mann war. Der Minister, ein kleiner, hagerer Mann, der sein eigenes Haar trug, trat in den Saal des Rathhauses, und der Herr Buͤrgermeister auf seinen Rednerplatz. Mit einer sichtbaren Verwirrung fing der gute Mann seine Rede an, stockte, raͤusperte sich, und blieb endlich stecken, ohne ein einziges Wort weiter vorbringen zu koͤnnen. Der Minister schien unwillig uͤber den Redner zu seyn, und die ganze Versammlung schied aus einander.</p> <p>Der Minister wurde zu einem Mittagsschmause eingeladen, der ganze Magistrat, die Honoratioren der Stadt waren gegenwaͤrtig, und der Minister kam neben dem Buͤrgermeister zu sitzen, dessen Rede ein so klaͤgliches Ende genommen hatte. Beide liessen sich in ein Gespraͤch ein, und der Minister sahe nun, daß der leztere ein vortreflicher Kopf war, der sich sehr gut auszudruͤcken wußte, und sehr weitlaͤuftige Kenntnisse verrieth. »Aber wie ist es moͤglich, fing der Minister endlich an, daß ein Mann von Jhrer Lebhaftigkeit, von ihrer Suade in seiner Rede stecken bleiben konnte?« »Jch will es Ew. Excellenz erklaͤren, erwiederte der Buͤrgermeister: – »Jch hatte Ew. Excellenz nie gesehen. Jch stellte Sie mir als einen Mann mit einem grossen dicken Bauche, einer langen Wolkenparuͤcke,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [33/0035]
solche Rede sollte ihm auch zu *** von dem dortigen Buͤrgermeister gehalten werden, welches ein ausserordentlich geschickter, und sonst sehr beredter Mann war. Der Minister, ein kleiner, hagerer Mann, der sein eigenes Haar trug, trat in den Saal des Rathhauses, und der Herr Buͤrgermeister auf seinen Rednerplatz. Mit einer sichtbaren Verwirrung fing der gute Mann seine Rede an, stockte, raͤusperte sich, und blieb endlich stecken, ohne ein einziges Wort weiter vorbringen zu koͤnnen. Der Minister schien unwillig uͤber den Redner zu seyn, und die ganze Versammlung schied aus einander.
Der Minister wurde zu einem Mittagsschmause eingeladen, der ganze Magistrat, die Honoratioren der Stadt waren gegenwaͤrtig, und der Minister kam neben dem Buͤrgermeister zu sitzen, dessen Rede ein so klaͤgliches Ende genommen hatte. Beide liessen sich in ein Gespraͤch ein, und der Minister sahe nun, daß der leztere ein vortreflicher Kopf war, der sich sehr gut auszudruͤcken wußte, und sehr weitlaͤuftige Kenntnisse verrieth. »Aber wie ist es moͤglich, fing der Minister endlich an, daß ein Mann von Jhrer Lebhaftigkeit, von ihrer Suade in seiner Rede stecken bleiben konnte?« »Jch will es Ew. Excellenz erklaͤren, erwiederte der Buͤrgermeister: – »Jch hatte Ew. Excellenz nie gesehen. Jch stellte Sie mir als einen Mann mit einem grossen dicken Bauche, einer langen Wolkenparuͤcke,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/35 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/35>, abgerufen am 16.07.2024. |