Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.2. Der Einsiedler im Stadtgetümmel. ![]() Der edle und tugendhafte Heinrich Wilby Esq. war aus Lincolnshire gebürtig, und Erbe eines ansehnlichen Rittergutes, welches jährlich über tausend Pfund eintrug. Er hatte seine Studien auf der Universität sowohl, als in einem der juristischen Kollegien, vollendet, und war mehrere Jahre nach einander auf Reisen in fremden Ländern. Nach seiner Rückkehr lebte dieser sehr gebildete junge Edelmann auf seinem väterlichen Landgute, war überaus gastfrey, hielt viel Umgang mit seines Gleichen, und hatte eine schöne wohlerzogene Tochter, die, mit seiner völligen Genehmigung, an Sir Christopher Hilliard in Yorkshire verheirathet wurde. Er war jezt vierzig Jahr alt. Die Reichen achteten ihn; die Armen beteten für ihn; und von Jedermann ward er geehrt und geliebt; als einstmals einer von seinen jüngern Brüdern, mit dem er nicht recht einig war, ihm auf freien Felde begegnete, und ein Pistol auf ihn losdrückte, welches aber glücklicherweise versagte. Er glaubte, das sey blos geschehen, um ihm ein Schrecken einzujagen, und entwaffnete den Niederträchtigen ganz kaltblütig. Sorglos steckte er das Pistol in seine Tasche, und ging in tiefen Gedanken nach Hause. Als er hier aber das Gewehr näher untersuchte, und 2. Der Einsiedler im Stadtgetuͤmmel. ![]() Der edle und tugendhafte Heinrich Wilby Esq. war aus Lincolnshire gebuͤrtig, und Erbe eines ansehnlichen Rittergutes, welches jaͤhrlich uͤber tausend Pfund eintrug. Er hatte seine Studien auf der Universitaͤt sowohl, als in einem der juristischen Kollegien, vollendet, und war mehrere Jahre nach einander auf Reisen in fremden Laͤndern. Nach seiner Ruͤckkehr lebte dieser sehr gebildete junge Edelmann auf seinem vaͤterlichen Landgute, war uͤberaus gastfrey, hielt viel Umgang mit seines Gleichen, und hatte eine schoͤne wohlerzogene Tochter, die, mit seiner voͤlligen Genehmigung, an Sir Christopher Hilliard in Yorkshire verheirathet wurde. Er war jezt vierzig Jahr alt. Die Reichen achteten ihn; die Armen beteten fuͤr ihn; und von Jedermann ward er geehrt und geliebt; als einstmals einer von seinen juͤngern Bruͤdern, mit dem er nicht recht einig war, ihm auf freien Felde begegnete, und ein Pistol auf ihn losdruͤckte, welches aber gluͤcklicherweise versagte. Er glaubte, das sey blos geschehen, um ihm ein Schrecken einzujagen, und entwaffnete den Niedertraͤchtigen ganz kaltbluͤtig. Sorglos steckte er das Pistol in seine Tasche, und ging in tiefen Gedanken nach Hause. Als er hier aber das Gewehr naͤher untersuchte, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0029" n="27"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>2. Der Einsiedler im Stadtgetuͤmmel.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref2"><note type="editorial"/>Pockels, C. F.</persName> </bibl> </note> <p>Der edle und tugendhafte Heinrich Wilby Esq. war aus Lincolnshire gebuͤrtig, und Erbe eines ansehnlichen Rittergutes, welches jaͤhrlich uͤber tausend Pfund eintrug. Er hatte seine Studien auf der Universitaͤt sowohl, als in einem der juristischen Kollegien, vollendet, und war mehrere Jahre nach einander auf Reisen in fremden Laͤndern. Nach seiner Ruͤckkehr lebte dieser sehr gebildete junge Edelmann auf seinem vaͤterlichen Landgute, war uͤberaus gastfrey, hielt viel Umgang mit seines Gleichen, <choice><corr>und</corr><sic>une</sic></choice> hatte eine schoͤne wohlerzogene Tochter, die, mit seiner voͤlligen Genehmigung, an Sir Christopher Hilliard in Yorkshire verheirathet wurde. Er war jezt vierzig Jahr alt. Die Reichen achteten ihn; die Armen beteten fuͤr ihn; und von Jedermann ward er geehrt und geliebt; als einstmals einer von seinen juͤngern Bruͤdern, mit dem er nicht recht einig war, ihm auf freien Felde begegnete, und ein Pistol auf ihn losdruͤckte, welches aber gluͤcklicherweise versagte. Er glaubte, das sey blos geschehen, um ihm ein Schrecken einzujagen, und entwaffnete den Niedertraͤchtigen ganz kaltbluͤtig. Sorglos steckte er das Pistol in seine Tasche, und ging in tiefen Gedanken nach Hause. Als er hier aber das Gewehr naͤher untersuchte, und<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0029]
2. Der Einsiedler im Stadtgetuͤmmel.
Der edle und tugendhafte Heinrich Wilby Esq. war aus Lincolnshire gebuͤrtig, und Erbe eines ansehnlichen Rittergutes, welches jaͤhrlich uͤber tausend Pfund eintrug. Er hatte seine Studien auf der Universitaͤt sowohl, als in einem der juristischen Kollegien, vollendet, und war mehrere Jahre nach einander auf Reisen in fremden Laͤndern. Nach seiner Ruͤckkehr lebte dieser sehr gebildete junge Edelmann auf seinem vaͤterlichen Landgute, war uͤberaus gastfrey, hielt viel Umgang mit seines Gleichen, und hatte eine schoͤne wohlerzogene Tochter, die, mit seiner voͤlligen Genehmigung, an Sir Christopher Hilliard in Yorkshire verheirathet wurde. Er war jezt vierzig Jahr alt. Die Reichen achteten ihn; die Armen beteten fuͤr ihn; und von Jedermann ward er geehrt und geliebt; als einstmals einer von seinen juͤngern Bruͤdern, mit dem er nicht recht einig war, ihm auf freien Felde begegnete, und ein Pistol auf ihn losdruͤckte, welches aber gluͤcklicherweise versagte. Er glaubte, das sey blos geschehen, um ihm ein Schrecken einzujagen, und entwaffnete den Niedertraͤchtigen ganz kaltbluͤtig. Sorglos steckte er das Pistol in seine Tasche, und ging in tiefen Gedanken nach Hause. Als er hier aber das Gewehr naͤher untersuchte, und
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/29>, abgerufen am 16.02.2025. |