Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0107" n="105"/><lb/> delte, – kurz ein Mensch, dem es an koͤrperlichen Kraͤften fehlte, wenig Freunde, ein kleines Erbtheil, viel Feinde hatte, deren groͤßten Theil ich weder dem Namen, noch dem Gesichte nach kenne, der keine Lebensklugheit, ein schwaches Gedaͤchtniß, aber doch eine beßre Vorsichtigkeit besaß, so daß ich nicht begreifen kann, wie ein Zustand, der meiner Familie und den Vorfahren Schande machte, fuͤr ruͤhmlich und beneidenswerth hat angesehen werden koͤnnen. »Mein Vater, sagt er im dritten Kapitel, trug wider die Gewohnheit der Stadt einen Purpurrock, ob er gleich eine schwarze Parucke beibehielt. Er stammelte, war ein Freund verschiedener Wissenschaften, roth vom Gesicht, und hatte weiße Augen, womit er auch des Nachts sehen konnte. Die Worte: <hi rendition="#aq">»omnis spiritus laudet Dominum, quia ipse est fons omnium virtutum,«</hi> hatte er immer im Munde. Bei einer Kopfwunde waren ihm in seiner Jugend die Scheitelknochen weggenommen worden, so daß er, ohne sein Haupt zu bedecken, nicht lange aushalten konnte. Von seinem vierten Jahre an hatten ihm alle Zaͤhne gefehlt. Er studirte fleißig den Euclid, hatte krumme Schultern, und einen einzigen vertrauten Freund, ob sie gleich beide ganz verschiedene Studien trieben. – Meine Mutter war zum Jaͤhzorn geneigt, hatte ein vortrefliches Gedaͤchtniß und einen guten Kopf, war kleiner Statur, fett und andaͤchtig. Beide Aeltern waren von zornigem Tem-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0107]
delte, – kurz ein Mensch, dem es an koͤrperlichen Kraͤften fehlte, wenig Freunde, ein kleines Erbtheil, viel Feinde hatte, deren groͤßten Theil ich weder dem Namen, noch dem Gesichte nach kenne, der keine Lebensklugheit, ein schwaches Gedaͤchtniß, aber doch eine beßre Vorsichtigkeit besaß, so daß ich nicht begreifen kann, wie ein Zustand, der meiner Familie und den Vorfahren Schande machte, fuͤr ruͤhmlich und beneidenswerth hat angesehen werden koͤnnen. »Mein Vater, sagt er im dritten Kapitel, trug wider die Gewohnheit der Stadt einen Purpurrock, ob er gleich eine schwarze Parucke beibehielt. Er stammelte, war ein Freund verschiedener Wissenschaften, roth vom Gesicht, und hatte weiße Augen, womit er auch des Nachts sehen konnte. Die Worte: »omnis spiritus laudet Dominum, quia ipse est fons omnium virtutum,« hatte er immer im Munde. Bei einer Kopfwunde waren ihm in seiner Jugend die Scheitelknochen weggenommen worden, so daß er, ohne sein Haupt zu bedecken, nicht lange aushalten konnte. Von seinem vierten Jahre an hatten ihm alle Zaͤhne gefehlt. Er studirte fleißig den Euclid, hatte krumme Schultern, und einen einzigen vertrauten Freund, ob sie gleich beide ganz verschiedene Studien trieben. – Meine Mutter war zum Jaͤhzorn geneigt, hatte ein vortrefliches Gedaͤchtniß und einen guten Kopf, war kleiner Statur, fett und andaͤchtig. Beide Aeltern waren von zornigem Tem-
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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