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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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fort zu helfen. Allein-- das Elend häufte sich tagtäglich, und er sah keine Rettung. Mit diesen Gedanken umwölkt, befand er sich einstens am Abende in seinem Garten, und hing da ganz seinem traurigen Schicksale nach; als ihm däuchte, eine Stimme zu hören, die sprach: "Sorge nicht; es wird dir und deiner Familie noch gut gehen". Er staunte; freudig verließ er den Garten, erzählte seine gehabte Erscheinung, und ermunterte alle, gutes Muthes zu seyn. Bald darauf gerieth er plözlich auf den Gedanken, einen Leinwandhandel anzufangen; er fing ihn an, und betrieb ihn mit so vielem Glück, daß er sich nun in den besten Umständen befindet, und die meisten seiner Kinder hat versorgen können*).

Wien.

J. L. A. Schlichting.


*) Phänomene dieser Art, wenn man auch das historische Factum nicht selbst läugnen kann, lassen sich doch ganz natürlich aus einer gehabten Einbildung und einem damit verbundenen Zufalle erklären. Daß sie aufgeklärte, unbefangene Männer erzählen, selbst an sich erfahren haben wollen, beweist für die Wahrheit der Sache nichts, weil sich auch aufgeklärte und unbefangene Männer -- am leichtesten aber da irren können, wo eine lebhafte Phantasie, oder etwas Wunderbarscheinendes, wodurch sich die Menschen so leicht täuschen lassen, mit im Spiel ist. P.


fort zu helfen. Allein— das Elend haͤufte sich tagtaͤglich, und er sah keine Rettung. Mit diesen Gedanken umwoͤlkt, befand er sich einstens am Abende in seinem Garten, und hing da ganz seinem traurigen Schicksale nach; als ihm daͤuchte, eine Stimme zu hoͤren, die sprach: »Sorge nicht; es wird dir und deiner Familie noch gut gehen«. Er staunte; freudig verließ er den Garten, erzaͤhlte seine gehabte Erscheinung, und ermunterte alle, gutes Muthes zu seyn. Bald darauf gerieth er ploͤzlich auf den Gedanken, einen Leinwandhandel anzufangen; er fing ihn an, und betrieb ihn mit so vielem Gluͤck, daß er sich nun in den besten Umstaͤnden befindet, und die meisten seiner Kinder hat versorgen koͤnnen*).

Wien.

J. L. A. Schlichting.


*) Phaͤnomene dieser Art, wenn man auch das historische Factum nicht selbst laͤugnen kann, lassen sich doch ganz natuͤrlich aus einer gehabten Einbildung und einem damit verbundenen Zufalle erklaͤren. Daß sie aufgeklaͤrte, unbefangene Maͤnner erzaͤhlen, selbst an sich erfahren haben wollen, beweist fuͤr die Wahrheit der Sache nichts, weil sich auch aufgeklaͤrte und unbefangene Maͤnner — am leichtesten aber da irren koͤnnen, wo eine lebhafte Phantasie, oder etwas Wunderbarscheinendes, wodurch sich die Menschen so leicht taͤuschen lassen, mit im Spiel ist. P.
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[95/0095] fort zu helfen. Allein— das Elend haͤufte sich tagtaͤglich, und er sah keine Rettung. Mit diesen Gedanken umwoͤlkt, befand er sich einstens am Abende in seinem Garten, und hing da ganz seinem traurigen Schicksale nach; als ihm daͤuchte, eine Stimme zu hoͤren, die sprach: »Sorge nicht; es wird dir und deiner Familie noch gut gehen«. Er staunte; freudig verließ er den Garten, erzaͤhlte seine gehabte Erscheinung, und ermunterte alle, gutes Muthes zu seyn. Bald darauf gerieth er ploͤzlich auf den Gedanken, einen Leinwandhandel anzufangen; er fing ihn an, und betrieb ihn mit so vielem Gluͤck, daß er sich nun in den besten Umstaͤnden befindet, und die meisten seiner Kinder hat versorgen koͤnnen*). Wien. J. L. A. Schlichting. *) Phaͤnomene dieser Art, wenn man auch das historische Factum nicht selbst laͤugnen kann, lassen sich doch ganz natuͤrlich aus einer gehabten Einbildung und einem damit verbundenen Zufalle erklaͤren. Daß sie aufgeklaͤrte, unbefangene Maͤnner erzaͤhlen, selbst an sich erfahren haben wollen, beweist fuͤr die Wahrheit der Sache nichts, weil sich auch aufgeklaͤrte und unbefangene Maͤnner — am leichtesten aber da irren koͤnnen, wo eine lebhafte Phantasie, oder etwas Wunderbarscheinendes, wodurch sich die Menschen so leicht taͤuschen lassen, mit im Spiel ist. P.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/95>, abgerufen am 24.11.2024.