Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


wenn er es bloß isolirt betrachtet, und nicht mit sehr vielen andern Phänomenen, äußern und innern Umständen des Denkens, Lagen und Veränderungen mehrerer individueller Zustände des Wollens vergleicht. Vorzüglich, muß er seine Aufmerksamkeit bey gemischten Leidenschaften verdoppeln, und die Differenz richtig zu finden suchen, die für die Natur der Leidenschaft herauskommt, wenn er das Passive von dem Activen abzieht.

Wir haben sehr viel Theorien*) über die Leidenschaften, aber wenige berühren den eigentlichen Calculus der Empfindungen, welcher sich auf die kleinsten und ersten Elemente und Schattirungen der Leidenschaften erstreckt. Sie sind gemeiniglich zu allgemein, zu compendiorisch, als daß sie analytische Theorien genannt zu werden verdienten; vornehmlich aber haben sie den Fehler, daß ihre Verfasser nicht Anatomen genug waren, um das ganze Gebiet der Empfindungen, soweit der menschliche Scharfsinn reicht, physiologisch zu beleuchten. Es giebt keine einzige Leidenschaft, die nicht einen genauen Bezug auf unsern Körper und seine Bauart hätte. Alles Wollen wird durch den Einfluß des Bluts, der Lebensgeister, des Nervensafts und der körperlichen Jdeenassociation bewürkt, und wir wer-

*) Worunter die Preisschrift des Hrn. Cocsius ohnstreitig die vorzüglichste ist.


wenn er es bloß isolirt betrachtet, und nicht mit sehr vielen andern Phaͤnomenen, aͤußern und innern Umstaͤnden des Denkens, Lagen und Veraͤnderungen mehrerer individueller Zustaͤnde des Wollens vergleicht. Vorzuͤglich, muß er seine Aufmerksamkeit bey gemischten Leidenschaften verdoppeln, und die Differenz richtig zu finden suchen, die fuͤr die Natur der Leidenschaft herauskommt, wenn er das Passive von dem Activen abzieht.

Wir haben sehr viel Theorien*) uͤber die Leidenschaften, aber wenige beruͤhren den eigentlichen Calculus der Empfindungen, welcher sich auf die kleinsten und ersten Elemente und Schattirungen der Leidenschaften erstreckt. Sie sind gemeiniglich zu allgemein, zu compendiorisch, als daß sie analytische Theorien genannt zu werden verdienten; vornehmlich aber haben sie den Fehler, daß ihre Verfasser nicht Anatomen genug waren, um das ganze Gebiet der Empfindungen, soweit der menschliche Scharfsinn reicht, physiologisch zu beleuchten. Es giebt keine einzige Leidenschaft, die nicht einen genauen Bezug auf unsern Koͤrper und seine Bauart haͤtte. Alles Wollen wird durch den Einfluß des Bluts, der Lebensgeister, des Nervensafts und der koͤrperlichen Jdeenassociation bewuͤrkt, und wir wer-

*) Worunter die Preisschrift des Hrn. Cocsius ohnstreitig die vorzuͤglichste ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0054" n="54"/><lb/>
wenn er es bloß isolirt betrachtet, und nicht mit sehr                   vielen andern <choice><corr>Pha&#x0364;nomenen,</corr><sic>Pho&#x0364;nomenen,</sic></choice> a&#x0364;ußern und innern Umsta&#x0364;nden des Denkens, Lagen und                   Vera&#x0364;nderungen mehrerer individueller Zusta&#x0364;nde des Wollens vergleicht. Vorzu&#x0364;glich,                   muß er seine Aufmerksamkeit bey <hi rendition="#b">gemischten</hi> Leidenschaften                   verdoppeln, und die Differenz richtig zu finden suchen, die fu&#x0364;r die Natur der                   Leidenschaft herauskommt, wenn er das Passive von dem Activen abzieht.</p>
            <p>Wir haben sehr viel Theorien*) <note place="foot">*) Worunter die Preisschrift des                      Hrn. <hi rendition="#b">Cocsius</hi> ohnstreitig die vorzu&#x0364;glichste ist.</note>                   u&#x0364;ber die Leidenschaften, aber wenige beru&#x0364;hren den eigentlichen Calculus der                   Empfindungen, welcher sich auf die kleinsten und ersten Elemente und Schattirungen                   der Leidenschaften erstreckt. Sie sind gemeiniglich zu allgemein, zu                   compendiorisch, als daß sie analytische Theorien genannt zu werden verdienten;                   vornehmlich aber haben sie den Fehler, daß ihre Verfasser nicht Anatomen genug                   waren, um das ganze Gebiet der Empfindungen, soweit der menschliche Scharfsinn                   reicht, physiologisch zu beleuchten. Es giebt keine einzige Leidenschaft, die                   nicht einen genauen Bezug auf unsern Ko&#x0364;rper und seine Bauart ha&#x0364;tte. Alles Wollen                   wird durch den Einfluß des Bluts, der Lebensgeister, des Nervensafts und der                   ko&#x0364;rperlichen Jdeenassociation bewu&#x0364;rkt, und wir wer-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0054] wenn er es bloß isolirt betrachtet, und nicht mit sehr vielen andern Phaͤnomenen, aͤußern und innern Umstaͤnden des Denkens, Lagen und Veraͤnderungen mehrerer individueller Zustaͤnde des Wollens vergleicht. Vorzuͤglich, muß er seine Aufmerksamkeit bey gemischten Leidenschaften verdoppeln, und die Differenz richtig zu finden suchen, die fuͤr die Natur der Leidenschaft herauskommt, wenn er das Passive von dem Activen abzieht. Wir haben sehr viel Theorien*) uͤber die Leidenschaften, aber wenige beruͤhren den eigentlichen Calculus der Empfindungen, welcher sich auf die kleinsten und ersten Elemente und Schattirungen der Leidenschaften erstreckt. Sie sind gemeiniglich zu allgemein, zu compendiorisch, als daß sie analytische Theorien genannt zu werden verdienten; vornehmlich aber haben sie den Fehler, daß ihre Verfasser nicht Anatomen genug waren, um das ganze Gebiet der Empfindungen, soweit der menschliche Scharfsinn reicht, physiologisch zu beleuchten. Es giebt keine einzige Leidenschaft, die nicht einen genauen Bezug auf unsern Koͤrper und seine Bauart haͤtte. Alles Wollen wird durch den Einfluß des Bluts, der Lebensgeister, des Nervensafts und der koͤrperlichen Jdeenassociation bewuͤrkt, und wir wer- *) Worunter die Preisschrift des Hrn. Cocsius ohnstreitig die vorzuͤglichste ist.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/54
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/54>, abgerufen am 24.11.2024.