Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.Zur Seelenkrankheitskunde. 1. Beyspiel einer sonderbaren Ohnmacht. ![]() Ein junges Frauenzimmer, Kammerfrau bey der Fürstinn von **, hatte an einer heftigen Nervenschwäche lange krank gelegen, und war endlich allem menschlichen Ansehen nach gestorben. Jhre Lippen waren bleich, ihr Gesicht hatte eine völlige Todtenfarbe, und ihr Körper war kalt. Man brachte sie aus dem Zimmer, worin sie gestorben war, legte sie in einen Sarg, und bestimmte den Tag, wenn sie begraben werden sollte. Der Tag erschien, es wurden, nach der Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thür gesungen, und man wollte eben den Sarg zunageln und wegtragen, als man auf der Leiche einen Schweiß entdeckte, der lau war, und immer heftiger hervordrang, -- endlich beobachteten die Umstehenden sogar einige schnelle Muskelbewegungen an Händen und Füßen des verstorbenen Frauenzimmers. Nach einigen Minuten, währender Zeit sie noch andere Zeichen des Lebens von sich gegeben hatte, schlug sie mit einem erbärmlichen kreischenden Geschrey die Augen auf, Zur Seelenkrankheitskunde. 1. Beyspiel einer sonderbaren Ohnmacht. ![]() Ein junges Frauenzimmer, Kammerfrau bey der Fuͤrstinn von **, hatte an einer heftigen Nervenschwaͤche lange krank gelegen, und war endlich allem menschlichen Ansehen nach gestorben. Jhre Lippen waren bleich, ihr Gesicht hatte eine voͤllige Todtenfarbe, und ihr Koͤrper war kalt. Man brachte sie aus dem Zimmer, worin sie gestorben war, legte sie in einen Sarg, und bestimmte den Tag, wenn sie begraben werden sollte. Der Tag erschien, es wurden, nach der Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thuͤr gesungen, und man wollte eben den Sarg zunageln und wegtragen, als man auf der Leiche einen Schweiß entdeckte, der lau war, und immer heftiger hervordrang, — endlich beobachteten die Umstehenden sogar einige schnelle Muskelbewegungen an Haͤnden und Fuͤßen des verstorbenen Frauenzimmers. Nach einigen Minuten, waͤhrender Zeit sie noch andere Zeichen des Lebens von sich gegeben hatte, schlug sie mit einem erbaͤrmlichen kreischenden Geschrey die Augen auf, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0015" n="15"/><lb/><lb/> </div> <div n="2"> <head>Zur Seelenkrankheitskunde.</head><lb/> <div n="3"> <head>1. Beyspiel einer sonderbaren Ohnmacht.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref2"><note type="editorial"/>Pockels, C. F.</persName> </bibl> </note> <p>Ein junges Frauenzimmer, Kammerfrau bey der Fuͤrstinn von **, hatte an einer heftigen Nervenschwaͤche lange krank gelegen, und war endlich allem menschlichen Ansehen nach gestorben. Jhre Lippen waren bleich, ihr Gesicht hatte eine voͤllige Todtenfarbe, und ihr Koͤrper war kalt. Man brachte sie aus dem Zimmer, worin sie gestorben war, legte sie in einen Sarg, und bestimmte den Tag, wenn sie begraben werden sollte. Der Tag erschien, es wurden, nach der Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thuͤr gesungen, und man wollte eben den Sarg zunageln und wegtragen, als man auf der Leiche einen Schweiß entdeckte, der lau war, und immer heftiger hervordrang, — endlich beobachteten die Umstehenden sogar einige schnelle Muskelbewegungen an Haͤnden und Fuͤßen des verstorbenen Frauenzimmers. Nach einigen Minuten, waͤhrender Zeit sie noch andere Zeichen des Lebens von sich gegeben hatte, schlug sie mit einem erbaͤrmlichen kreischenden Geschrey die Augen auf,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0015]
Zur Seelenkrankheitskunde.
1. Beyspiel einer sonderbaren Ohnmacht.
Ein junges Frauenzimmer, Kammerfrau bey der Fuͤrstinn von **, hatte an einer heftigen Nervenschwaͤche lange krank gelegen, und war endlich allem menschlichen Ansehen nach gestorben. Jhre Lippen waren bleich, ihr Gesicht hatte eine voͤllige Todtenfarbe, und ihr Koͤrper war kalt. Man brachte sie aus dem Zimmer, worin sie gestorben war, legte sie in einen Sarg, und bestimmte den Tag, wenn sie begraben werden sollte. Der Tag erschien, es wurden, nach der Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thuͤr gesungen, und man wollte eben den Sarg zunageln und wegtragen, als man auf der Leiche einen Schweiß entdeckte, der lau war, und immer heftiger hervordrang, — endlich beobachteten die Umstehenden sogar einige schnelle Muskelbewegungen an Haͤnden und Fuͤßen des verstorbenen Frauenzimmers. Nach einigen Minuten, waͤhrender Zeit sie noch andere Zeichen des Lebens von sich gegeben hatte, schlug sie mit einem erbaͤrmlichen kreischenden Geschrey die Augen auf,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/15>, abgerufen am 16.02.2025. |