Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.
Durch vieles Zureden seines ältesten Bruders (der auch ein frommer Bruder war,) und Vaters wird er endlich überwunden, in die Versammlungsstunde zu gehen, und fängt mit zweyen seiner Nebenschüler (auch von der Brüderschaft,) einen anhänglichern Umgang an. "Jch kann nicht sagen", heißt es weiter, "daß mich in der ersten Zeit diese Stunde sehr bewegt oder gerührt hätte, sogar viel abgeschmacktes kam vor unter den Erzählungen des Seelenzustandes nach den einzelnen Tagen und Stunden; von dem Seelenfreund u.s.w. immer einerley; nur immer schlechter und gezwungener". Sehr natürlich! ein gesunder noch unverschrobener junger Kopf konnte unmöglich gleich Anfangs an solchen langweiligen, zum Theil albernen Unter-
Durch vieles Zureden seines aͤltesten Bruders (der auch ein frommer Bruder war,) und Vaters wird er endlich uͤberwunden, in die Versammlungsstunde zu gehen, und faͤngt mit zweyen seiner Nebenschuͤler (auch von der Bruͤderschaft,) einen anhaͤnglichern Umgang an. »Jch kann nicht sagen«, heißt es weiter, »daß mich in der ersten Zeit diese Stunde sehr bewegt oder geruͤhrt haͤtte, sogar viel abgeschmacktes kam vor unter den Erzaͤhlungen des Seelenzustandes nach den einzelnen Tagen und Stunden; von dem Seelenfreund u.s.w. immer einerley; nur immer schlechter und gezwungener«. Sehr natuͤrlich! ein gesunder noch unverschrobener junger Kopf konnte unmoͤglich gleich Anfangs an solchen langweiligen, zum Theil albernen Unter- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0119" n="119"/><lb/> derselben Behagen. Vielleicht waͤre dieser fuͤr die theologische Litteratur und Religionsaufklaͤrung so wichtig gewordene, und wegen seiner gelehrten Verdienste so schaͤtzbare Mann fuͤr die Welt ganz verloren gegangen, wenn ihn nicht besondere Umstaͤnde, und sein eigener thaͤtiger, nach Wahrheit forschender Geist aus dem Pfuhle der Mystik noch zur rechten Zeit herausgerissen haͤtten. — So scheint doch endlich bey<hi rendition="#b">guten</hi> Koͤpfen, welche sich in irgend ein sinnlich mystisches System verwikkelt haben, die Vernunft ihre gesunden Rechte zu behaupten, und es ist mir nicht sehr wahrscheinlich, daß Mystik viel große Koͤpfe wirklich unterdruͤckt haben sollte.</p> <p>Durch vieles Zureden seines aͤltesten Bruders (der auch ein frommer Bruder war,) und Vaters wird er endlich uͤberwunden, in die Versammlungsstunde zu gehen, und faͤngt mit zweyen seiner Nebenschuͤler (auch von der Bruͤderschaft,) einen anhaͤnglichern Umgang an. »Jch kann nicht sagen«, heißt es weiter, »daß mich in der ersten Zeit diese Stunde sehr bewegt oder geruͤhrt haͤtte, sogar viel abgeschmacktes kam vor unter den Erzaͤhlungen des Seelenzustandes nach den einzelnen Tagen und Stunden; von dem Seelenfreund u.s.w. immer einerley; nur immer schlechter und gezwungener«.</p> <p>Sehr natuͤrlich! ein gesunder noch unverschrobener junger Kopf konnte unmoͤglich gleich Anfangs an solchen langweiligen, zum Theil albernen Unter-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0119]
derselben Behagen. Vielleicht waͤre dieser fuͤr die theologische Litteratur und Religionsaufklaͤrung so wichtig gewordene, und wegen seiner gelehrten Verdienste so schaͤtzbare Mann fuͤr die Welt ganz verloren gegangen, wenn ihn nicht besondere Umstaͤnde, und sein eigener thaͤtiger, nach Wahrheit forschender Geist aus dem Pfuhle der Mystik noch zur rechten Zeit herausgerissen haͤtten. — So scheint doch endlich beyguten Koͤpfen, welche sich in irgend ein sinnlich mystisches System verwikkelt haben, die Vernunft ihre gesunden Rechte zu behaupten, und es ist mir nicht sehr wahrscheinlich, daß Mystik viel große Koͤpfe wirklich unterdruͤckt haben sollte.
Durch vieles Zureden seines aͤltesten Bruders (der auch ein frommer Bruder war,) und Vaters wird er endlich uͤberwunden, in die Versammlungsstunde zu gehen, und faͤngt mit zweyen seiner Nebenschuͤler (auch von der Bruͤderschaft,) einen anhaͤnglichern Umgang an. »Jch kann nicht sagen«, heißt es weiter, »daß mich in der ersten Zeit diese Stunde sehr bewegt oder geruͤhrt haͤtte, sogar viel abgeschmacktes kam vor unter den Erzaͤhlungen des Seelenzustandes nach den einzelnen Tagen und Stunden; von dem Seelenfreund u.s.w. immer einerley; nur immer schlechter und gezwungener«.
Sehr natuͤrlich! ein gesunder noch unverschrobener junger Kopf konnte unmoͤglich gleich Anfangs an solchen langweiligen, zum Theil albernen Unter-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/119>, abgerufen am 15.08.2024. |