Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787."Ach wäre ich", sagt er in einer bekannten Streitschrift, "wie vom Geize, also eben so frey von verdienten Vorwürfen unsittlicher Würkung des beym Widerspruch ruhmredigen Kraftgefühls, welches wahrlich den stärksten schwächt; und des übertriebenen Grams, wenn gemeinnützige Anschläge mißlingen; und des kurzen aber heftigen Zorns gegen Widersacher, wenn die Stärke des Getränks mit dem Gram würkt; und den Vorwürfen der Ungezogenheit, die in solchem Zustande auch wohl in der seltnen Frölichkeit deutlich zeigt, daß ich in dem Gegentheile aller Arten der guten Erziehung aufgewachsen, und daß mein bischen Politur ein zu spätes Kunstwerk sey". Wahrlich ein sehr aufrichtiges und interessantes Bekenntniß! Man gehe alle diese sich selbst gemachten Vorwürfe durch, und man wird die Gegenstände dieser Vorwürfe vornehmlich in einer schlechten Erziehung des großen Mannes finden. Die Stärke ihrer Eindrücke, das rohe, unbiegsame, kühne Kraftgefühl des sich ganz fühlenden Knaben hatte er mit in seine männlichen Jahre hinüber genommen, ohne daß ihm eine vernünftige Erziehung eine bessere mit der Menschenwelt homogenere Richtung gegeben hätte, und ohne daß die zu spät hinzugekommene Cultur seinen Naturcharakter in bescheidnere Gränzen einschliessen konnte. Sobald jene ersten Eindrücke gereizt wurden, sobald sich sei- »Ach waͤre ich«, sagt er in einer bekannten Streitschrift, »wie vom Geize, also eben so frey von verdienten Vorwuͤrfen unsittlicher Wuͤrkung des beym Widerspruch ruhmredigen Kraftgefuͤhls, welches wahrlich den staͤrksten schwaͤcht; und des uͤbertriebenen Grams, wenn gemeinnuͤtzige Anschlaͤge mißlingen; und des kurzen aber heftigen Zorns gegen Widersacher, wenn die Staͤrke des Getraͤnks mit dem Gram wuͤrkt; und den Vorwuͤrfen der Ungezogenheit, die in solchem Zustande auch wohl in der seltnen Froͤlichkeit deutlich zeigt, daß ich in dem Gegentheile aller Arten der guten Erziehung aufgewachsen, und daß mein bischen Politur ein zu spaͤtes Kunstwerk sey«. Wahrlich ein sehr aufrichtiges und interessantes Bekenntniß! Man gehe alle diese sich selbst gemachten Vorwuͤrfe durch, und man wird die Gegenstaͤnde dieser Vorwuͤrfe vornehmlich in einer schlechten Erziehung des großen Mannes finden. Die Staͤrke ihrer Eindruͤcke, das rohe, unbiegsame, kuͤhne Kraftgefuͤhl des sich ganz fuͤhlenden Knaben hatte er mit in seine maͤnnlichen Jahre hinuͤber genommen, ohne daß ihm eine vernuͤnftige Erziehung eine bessere mit der Menschenwelt homogenere Richtung gegeben haͤtte, und ohne daß die zu spaͤt hinzugekommene Cultur seinen Naturcharakter in bescheidnere Graͤnzen einschliessen konnte. Sobald jene ersten Eindruͤcke gereizt wurden, sobald sich sei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0114" n="114"/><lb/> <p>»Ach waͤre ich«, sagt er in einer bekannten Streitschrift, »wie vom Geize, also eben so frey von verdienten Vorwuͤrfen unsittlicher Wuͤrkung des beym Widerspruch ruhmredigen Kraftgefuͤhls, welches wahrlich den staͤrksten schwaͤcht; und des uͤbertriebenen Grams, wenn gemeinnuͤtzige Anschlaͤge mißlingen; und des kurzen aber heftigen Zorns gegen Widersacher, wenn die Staͤrke des Getraͤnks mit dem Gram wuͤrkt; und den Vorwuͤrfen der Ungezogenheit, die in solchem Zustande auch wohl in der seltnen Froͤlichkeit deutlich zeigt, daß ich in dem Gegentheile aller Arten der guten Erziehung aufgewachsen, und daß mein bischen Politur ein zu spaͤtes Kunstwerk sey«.</p> <p>Wahrlich ein sehr aufrichtiges und interessantes Bekenntniß! Man gehe alle diese sich selbst gemachten Vorwuͤrfe durch, und man wird die Gegenstaͤnde dieser Vorwuͤrfe vornehmlich in einer schlechten Erziehung des großen Mannes finden. Die Staͤrke ihrer Eindruͤcke, das rohe, unbiegsame, kuͤhne Kraftgefuͤhl des sich ganz fuͤhlenden Knaben hatte er mit in seine maͤnnlichen Jahre hinuͤber genommen, ohne daß ihm eine vernuͤnftige Erziehung eine bessere mit der Menschenwelt homogenere Richtung gegeben haͤtte, und ohne daß die zu spaͤt hinzugekommene Cultur seinen Naturcharakter in bescheidnere Graͤnzen einschliessen konnte. Sobald jene ersten Eindruͤcke gereizt wurden, sobald sich sei-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0114]
»Ach waͤre ich«, sagt er in einer bekannten Streitschrift, »wie vom Geize, also eben so frey von verdienten Vorwuͤrfen unsittlicher Wuͤrkung des beym Widerspruch ruhmredigen Kraftgefuͤhls, welches wahrlich den staͤrksten schwaͤcht; und des uͤbertriebenen Grams, wenn gemeinnuͤtzige Anschlaͤge mißlingen; und des kurzen aber heftigen Zorns gegen Widersacher, wenn die Staͤrke des Getraͤnks mit dem Gram wuͤrkt; und den Vorwuͤrfen der Ungezogenheit, die in solchem Zustande auch wohl in der seltnen Froͤlichkeit deutlich zeigt, daß ich in dem Gegentheile aller Arten der guten Erziehung aufgewachsen, und daß mein bischen Politur ein zu spaͤtes Kunstwerk sey«.
Wahrlich ein sehr aufrichtiges und interessantes Bekenntniß! Man gehe alle diese sich selbst gemachten Vorwuͤrfe durch, und man wird die Gegenstaͤnde dieser Vorwuͤrfe vornehmlich in einer schlechten Erziehung des großen Mannes finden. Die Staͤrke ihrer Eindruͤcke, das rohe, unbiegsame, kuͤhne Kraftgefuͤhl des sich ganz fuͤhlenden Knaben hatte er mit in seine maͤnnlichen Jahre hinuͤber genommen, ohne daß ihm eine vernuͤnftige Erziehung eine bessere mit der Menschenwelt homogenere Richtung gegeben haͤtte, und ohne daß die zu spaͤt hinzugekommene Cultur seinen Naturcharakter in bescheidnere Graͤnzen einschliessen konnte. Sobald jene ersten Eindruͤcke gereizt wurden, sobald sich sei-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/114>, abgerufen am 15.08.2024. |