Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.
Jch schreibe -- und verstehe noch wenig von dem, was ich schreibe; zwar alles, was die Welt verstehen heißt; -- aber sehr wenig von dem, was der Geist der Wahrheit in Christo, rechter Verstand des Geheimnisses Christi heißt. O Unterschied wörtlicher und anschauender Erkenntniß, der Einbildungskraft und des Herzens! des Herzens und des ganzen göttlichen Menschen in uns, der lauter Geist und Leben und Ebenbild Gottes ist, und alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit ergründet. O Wahrhaftiger! Einziger! wie wenige kennen dich, und deinen Sohn, und wissens aus unmittelbarer Erfahrung, daß dich in ihm erkennen ewiges Gottesleben ist! O unaufhörliches Schwätzen, Disputiren, Predigen, Schreiben von dem, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und was in keines Menschen Herz aufgestiegen ist -- ich meine von dem, was Gott schon in diesem Leben denen bereitet hat, die ihn lieben.
Jch schreibe — und verstehe noch wenig von dem, was ich schreibe; zwar alles, was die Welt verstehen heißt; — aber sehr wenig von dem, was der Geist der Wahrheit in Christo, rechter Verstand des Geheimnisses Christi heißt. O Unterschied woͤrtlicher und anschauender Erkenntniß, der Einbildungskraft und des Herzens! des Herzens und des ganzen goͤttlichen Menschen in uns, der lauter Geist und Leben und Ebenbild Gottes ist, und alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit ergruͤndet. O Wahrhaftiger! Einziger! wie wenige kennen dich, und deinen Sohn, und wissens aus unmittelbarer Erfahrung, daß dich in ihm erkennen ewiges Gottesleben ist! O unaufhoͤrliches Schwaͤtzen, Disputiren, Predigen, Schreiben von dem, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehoͤrt, und was in keines Menschen Herz aufgestiegen ist — ich meine von dem, was Gott schon in diesem Leben denen bereitet hat, die ihn lieben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#b"><pb facs="#f0108" n="108"/><lb/> Jhr fuͤr mich thut, thut Jhr fuͤr Euch!</hi> Wollt Jhr, daß Gott durch mich auf Euch wuͤrke; so laßt Gott auch durch Euch auf mich wuͤrken, damit wir immer mehr zur Einigkeit des Geistes kommen, und naͤher seyn dem großen bewoͤlkten — schrecklich fernen und wunderbar nahen Ziele — <hi rendition="#b">unter uns Eins zu werden in Christo,</hi> wie er und der Vater Eins ist.</p> <p>Jch schreibe — und verstehe noch wenig von dem, was ich schreibe; zwar alles, was die Welt verstehen heißt; — aber sehr wenig von dem, was der Geist der Wahrheit in Christo, rechter Verstand des Geheimnisses Christi heißt.</p> <p>O Unterschied woͤrtlicher und anschauender Erkenntniß, der Einbildungskraft und des Herzens! des Herzens und des ganzen goͤttlichen Menschen in uns, der lauter Geist und Leben und Ebenbild Gottes ist, und alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit ergruͤndet.</p> <p>O Wahrhaftiger! Einziger! wie wenige kennen dich, und deinen Sohn, und wissens aus <hi rendition="#b">unmittelbarer Erfahrung,</hi> daß dich in ihm erkennen ewiges Gottesleben ist!</p> <p>O unaufhoͤrliches Schwaͤtzen, Disputiren, Predigen, Schreiben von dem, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehoͤrt, und was in keines Menschen Herz aufgestiegen ist — ich meine von dem, was Gott schon in diesem Leben denen bereitet hat, die ihn lieben.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0108]
Jhr fuͤr mich thut, thut Jhr fuͤr Euch! Wollt Jhr, daß Gott durch mich auf Euch wuͤrke; so laßt Gott auch durch Euch auf mich wuͤrken, damit wir immer mehr zur Einigkeit des Geistes kommen, und naͤher seyn dem großen bewoͤlkten — schrecklich fernen und wunderbar nahen Ziele — unter uns Eins zu werden in Christo, wie er und der Vater Eins ist.
Jch schreibe — und verstehe noch wenig von dem, was ich schreibe; zwar alles, was die Welt verstehen heißt; — aber sehr wenig von dem, was der Geist der Wahrheit in Christo, rechter Verstand des Geheimnisses Christi heißt.
O Unterschied woͤrtlicher und anschauender Erkenntniß, der Einbildungskraft und des Herzens! des Herzens und des ganzen goͤttlichen Menschen in uns, der lauter Geist und Leben und Ebenbild Gottes ist, und alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit ergruͤndet.
O Wahrhaftiger! Einziger! wie wenige kennen dich, und deinen Sohn, und wissens aus unmittelbarer Erfahrung, daß dich in ihm erkennen ewiges Gottesleben ist!
O unaufhoͤrliches Schwaͤtzen, Disputiren, Predigen, Schreiben von dem, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehoͤrt, und was in keines Menschen Herz aufgestiegen ist — ich meine von dem, was Gott schon in diesem Leben denen bereitet hat, die ihn lieben.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/108>, abgerufen am 15.08.2024. |