Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.Die Töne, die durch Reflexion bestimmten Naturlaute des Schmerzes wären also nach meiner Meinung mit die ersten Stammwörter im Lexico einer anfänglichen Sprache gewesen. An sie mußten sich sehr natürlich die anschließen, welche aus einer frölichen Gemüthsstimmung herrührten. Töne des innern Freudengefühls, des Wohlbehagens, der Liebe und Zärtlichkeit. Ein neues Feld für die Entwickelung der ersten Sprache. Der Affect der Freude tönt anders, als der des Schmerzes, drückt sich am ganzen Körper anders aus. Das Sprachbedürfniß muß also auch aus dem Naturlaute desselben andere Nomina, andere Verba bilden, und unter diesen werden diejenigen wieder die ersten seyn, welche etwas sehr Auffallendes an sich hatten, eine gemeinschaftliche Nachahmung einer ganzen Gesellschaft verursachten, und durch das Ansehn der Person einige Autorität erhielten. Viele werden aber auch durch bloßen Zufall Nennwörter der Sprache geworden seyn, der überhaupt keinen geringen Antheil an ihrer Ausbildung gehabt haben mag. Die elterliche Liebe sowohl als die eheliche, die wir allerdings schon im rohen Zustande der Menschheit wider Rousseaus Meinung annehmen können, ist gewiß eine sehr reiche Quelle von Wörtern gewesen; -- vorausgesetzt, daß wir den ersten Menschen als ein erwachsenes Geschöpf mit menschlichen Anlagen denken. Die Mutter muß einen Namen für ihr Kind haben, und sie giebt ihm ei- Die Toͤne, die durch Reflexion bestimmten Naturlaute des Schmerzes waͤren also nach meiner Meinung mit die ersten Stammwoͤrter im Lexico einer anfaͤnglichen Sprache gewesen. An sie mußten sich sehr natuͤrlich die anschließen, welche aus einer froͤlichen Gemuͤthsstimmung herruͤhrten. Toͤne des innern Freudengefuͤhls, des Wohlbehagens, der Liebe und Zaͤrtlichkeit. Ein neues Feld fuͤr die Entwickelung der ersten Sprache. Der Affect der Freude toͤnt anders, als der des Schmerzes, druͤckt sich am ganzen Koͤrper anders aus. Das Sprachbeduͤrfniß muß also auch aus dem Naturlaute desselben andere Nomina, andere Verba bilden, und unter diesen werden diejenigen wieder die ersten seyn, welche etwas sehr Auffallendes an sich hatten, eine gemeinschaftliche Nachahmung einer ganzen Gesellschaft verursachten, und durch das Ansehn der Person einige Autoritaͤt erhielten. Viele werden aber auch durch bloßen Zufall Nennwoͤrter der Sprache geworden seyn, der uͤberhaupt keinen geringen Antheil an ihrer Ausbildung gehabt haben mag. Die elterliche Liebe sowohl als die eheliche, die wir allerdings schon im rohen Zustande der Menschheit wider Rousseaus Meinung annehmen koͤnnen, ist gewiß eine sehr reiche Quelle von Woͤrtern gewesen; — vorausgesetzt, daß wir den ersten Menschen als ein erwachsenes Geschoͤpf mit menschlichen Anlagen denken. Die Mutter muß einen Namen fuͤr ihr Kind haben, und sie giebt ihm ei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0086" n="86"/><lb/> <p>Die Toͤne, die durch <hi rendition="#b">Reflexion</hi> bestimmten Naturlaute des Schmerzes waͤren also nach meiner Meinung mit die ersten Stammwoͤrter im Lexico einer <hi rendition="#b">anfaͤnglichen</hi> Sprache gewesen. An sie mußten sich sehr natuͤrlich die anschließen, welche aus einer froͤlichen Gemuͤthsstimmung herruͤhrten. Toͤne des innern Freudengefuͤhls, des Wohlbehagens, der Liebe und Zaͤrtlichkeit. Ein neues Feld fuͤr die Entwickelung der ersten Sprache. Der Affect der Freude toͤnt anders, als der des Schmerzes, druͤckt sich am ganzen Koͤrper anders aus. Das Sprachbeduͤrfniß muß also auch aus dem Naturlaute desselben andere Nomina, andere Verba bilden, und unter diesen werden diejenigen wieder die ersten seyn, welche etwas sehr Auffallendes an sich hatten, eine gemeinschaftliche Nachahmung einer ganzen Gesellschaft verursachten, und durch das Ansehn der Person einige Autoritaͤt erhielten. Viele werden aber auch durch bloßen <hi rendition="#b">Zufall</hi> Nennwoͤrter der Sprache geworden seyn, <choice><corr>der</corr><sic>die</sic></choice> uͤberhaupt keinen geringen Antheil an ihrer Ausbildung gehabt haben mag.</p> <p>Die <hi rendition="#b">elterliche</hi> Liebe sowohl als die <hi rendition="#b">eheliche,</hi> die wir allerdings schon im rohen Zustande der Menschheit wider Rousseaus Meinung annehmen koͤnnen, ist gewiß eine sehr reiche Quelle von Woͤrtern gewesen; — vorausgesetzt, daß wir den ersten Menschen als ein erwachsenes Geschoͤpf mit menschlichen Anlagen denken. Die Mutter muß einen <hi rendition="#b">Namen</hi> fuͤr ihr Kind haben, und sie giebt ihm ei-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0086]
Die Toͤne, die durch Reflexion bestimmten Naturlaute des Schmerzes waͤren also nach meiner Meinung mit die ersten Stammwoͤrter im Lexico einer anfaͤnglichen Sprache gewesen. An sie mußten sich sehr natuͤrlich die anschließen, welche aus einer froͤlichen Gemuͤthsstimmung herruͤhrten. Toͤne des innern Freudengefuͤhls, des Wohlbehagens, der Liebe und Zaͤrtlichkeit. Ein neues Feld fuͤr die Entwickelung der ersten Sprache. Der Affect der Freude toͤnt anders, als der des Schmerzes, druͤckt sich am ganzen Koͤrper anders aus. Das Sprachbeduͤrfniß muß also auch aus dem Naturlaute desselben andere Nomina, andere Verba bilden, und unter diesen werden diejenigen wieder die ersten seyn, welche etwas sehr Auffallendes an sich hatten, eine gemeinschaftliche Nachahmung einer ganzen Gesellschaft verursachten, und durch das Ansehn der Person einige Autoritaͤt erhielten. Viele werden aber auch durch bloßen Zufall Nennwoͤrter der Sprache geworden seyn, der uͤberhaupt keinen geringen Antheil an ihrer Ausbildung gehabt haben mag.
Die elterliche Liebe sowohl als die eheliche, die wir allerdings schon im rohen Zustande der Menschheit wider Rousseaus Meinung annehmen koͤnnen, ist gewiß eine sehr reiche Quelle von Woͤrtern gewesen; — vorausgesetzt, daß wir den ersten Menschen als ein erwachsenes Geschoͤpf mit menschlichen Anlagen denken. Die Mutter muß einen Namen fuͤr ihr Kind haben, und sie giebt ihm ei-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/86>, abgerufen am 16.02.2025. |