angesehenen Manne kam, die Autorität eines würklichen Sprachworts bekommen und behalten, gesetzt, wenn er auch nur einen Vocal gehabt hätte; ob sich gleich der Schmerz oft durch Töne ausdrückt, die mehr Vocale haben, als einen. Jene Autorität erhielt aber das Wort nach und nach durch Widerhohlung und Nachahmung desselben. Man gab sich dadurch zu verstehen, wie dieser und jener seinen Schmerz ausgedrückt habe, und weil man hernach einen bestimmten Begriff von einem individuellen Schmerz hatte; so widerhohlte jeder Leidende in dem kleinen gesellschaftlichen Cirkel, der ihn erfand, jenen Ton, und er wurde ein Wort, ein Ausdruck, und ein Merkmahl des Schmerzes, Nomen und Verbum zugleich, dessen Jnfinitiv lange ohne Zeit und Personen ausgedruckt wurde. Wahrscheinlich bildete endlich auch die Reflexion aus dem Naturlaute des Schmerzes das abstracte Wort für denselben, und nahm dazu die Vocale, welche bei dem Ausdruck des Leidenden immer wieder vorkamen, als Elemente des abstracten Worts. Das genaue Wie läßt sich freilich hier nicht ausmachen, und kein einziger der bekannten Schriftsteller, die über den Ursprung der Sprache geschrieben haben, hat es gewagt, das alte und erste abstracte Urwort für den Schmerz, oder jeden andern abstracten Begriff anzugeben.
Condillac hat ohngefähr diese Meinung vom Ursprünge der Sprachen (Essai sur l'origine des con-
angesehenen Manne kam, die Autoritaͤt eines wuͤrklichen Sprachworts bekommen und behalten, gesetzt, wenn er auch nur einen Vocal gehabt haͤtte; ob sich gleich der Schmerz oft durch Toͤne ausdruͤckt, die mehr Vocale haben, als einen. Jene Autoritaͤt erhielt aber das Wort nach und nach durch Widerhohlung und Nachahmung desselben. Man gab sich dadurch zu verstehen, wie dieser und jener seinen Schmerz ausgedruͤckt habe, und weil man hernach einen bestimmten Begriff von einem individuellen Schmerz hatte; so widerhohlte jeder Leidende in dem kleinen gesellschaftlichen Cirkel, der ihn erfand, jenen Ton, und er wurde ein Wort, ein Ausdruck, und ein Merkmahl des Schmerzes, Nomen und Verbum zugleich, dessen Jnfinitiv lange ohne Zeit und Personen ausgedruckt wurde. Wahrscheinlich bildete endlich auch die Reflexion aus dem Naturlaute des Schmerzes das abstracte Wort fuͤr denselben, und nahm dazu die Vocale, welche bei dem Ausdruck des Leidenden immer wieder vorkamen, als Elemente des abstracten Worts. Das genaue Wie laͤßt sich freilich hier nicht ausmachen, und kein einziger der bekannten Schriftsteller, die uͤber den Ursprung der Sprache geschrieben haben, hat es gewagt, das alte und erste abstracte Urwort fuͤr den Schmerz, oder jeden andern abstracten Begriff anzugeben.
Condillac hat ohngefaͤhr diese Meinung vom Urspruͤnge der Sprachen (Essai sur l'origine des con-
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angesehenen Manne kam, die Autoritaͤt eines wuͤrklichen Sprachworts bekommen und behalten, gesetzt, wenn er auch nur einen Vocal gehabt haͤtte; ob sich gleich der Schmerz oft durch Toͤne ausdruͤckt, die mehr Vocale haben, als einen. Jene Autoritaͤt erhielt aber das Wort nach und nach durch Widerhohlung und Nachahmung desselben. Man gab sich dadurch zu verstehen, wie dieser und jener seinen Schmerz ausgedruͤckt habe, und weil man hernach einen bestimmten Begriff von einem individuellen Schmerz hatte; so widerhohlte jeder Leidende in dem kleinen gesellschaftlichen Cirkel, der ihn erfand, jenen Ton, und er wurde ein Wort, ein Ausdruck, und ein Merkmahl des Schmerzes, Nomen und Verbum zugleich, dessen Jnfinitiv lange ohne Zeit und Personen ausgedruckt wurde. Wahrscheinlich bildete endlich auch die Reflexion aus dem Naturlaute des Schmerzes das abstracte Wort fuͤr denselben, und nahm dazu die Vocale, welche bei dem Ausdruck des Leidenden immer wieder vorkamen, als Elemente des abstracten Worts. Das genaue Wie laͤßt sich freilich hier nicht ausmachen, und kein einziger der bekannten Schriftsteller, die uͤber den Ursprung der Sprache geschrieben haben, hat es gewagt, das alte und erste abstracte Urwort fuͤr den Schmerz, oder jeden andern abstracten Begriff anzugeben.
Condillac hat ohngefaͤhr diese Meinung vom Urspruͤnge der Sprachen (Essai sur l'origine des con-
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/83>, abgerufen am 16.02.2025.
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