Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Zur Seelennaturkunde
1. Vermischte Gedanken über Denkkraft und Sprache.

Die menschliche Seele denkt, wenn sie vergleicht. Durch das Gefühl, daß sie dieses kann; daß sie in sich selbst Veränderungen hervorzubringen vermag, kommt sie zum Bewußtseyn ihrer Existenz, und weil jenes Gefühl von dem Standpuncte abhängt, aus welchem sie die Welt betrachtet, -- ihrer individuellen Existenz. Sie verliert aber ihr eigenes Bewußtseyn, wenn sie nicht mehr Jdeen mit Jdeen vergleichen, folglich den Standpunct ihrer individuellen Existenz sich nicht mehr vorstellen kann.

Die Schnelligkeit und Richtigkeit ihrer Vergleichungskraft bestimmt die Grade ihres intellectuellen Werths, so wie auch ihrer einzelnen Denkvermögen, des Witzes, Scharfsinnes, der moralischen Urtheilskraft und des von diesen allen abhängenden Geschmacks.

So lange die Seele keine materiellen Jdeen mit einander vergleichen kann, folglich sich ihrer nicht


Zur Seelennaturkunde
1. Vermischte Gedanken uͤber Denkkraft und Sprache.

Die menschliche Seele denkt, wenn sie vergleicht. Durch das Gefuͤhl, daß sie dieses kann; daß sie in sich selbst Veraͤnderungen hervorzubringen vermag, kommt sie zum Bewußtseyn ihrer Existenz, und weil jenes Gefuͤhl von dem Standpuncte abhaͤngt, aus welchem sie die Welt betrachtet, — ihrer individuellen Existenz. Sie verliert aber ihr eigenes Bewußtseyn, wenn sie nicht mehr Jdeen mit Jdeen vergleichen, folglich den Standpunct ihrer individuellen Existenz sich nicht mehr vorstellen kann.

Die Schnelligkeit und Richtigkeit ihrer Vergleichungskraft bestimmt die Grade ihres intellectuellen Werths, so wie auch ihrer einzelnen Denkvermoͤgen, des Witzes, Scharfsinnes, der moralischen Urtheilskraft und des von diesen allen abhaͤngenden Geschmacks.

So lange die Seele keine materiellen Jdeen mit einander vergleichen kann, folglich sich ihrer nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0058" n="58"/><lb/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Zur Seelennaturkunde</head><lb/>
          <div n="3">
            <head>1.             Vermischte Gedanken u&#x0364;ber Denkkraft und Sprache.</head><lb/>
            <note type="editorial">
              <bibl>
                <persName ref="#ref2"><note type="editorial"/>Pockels, C. F.</persName>
              </bibl>
            </note>
            <p>Die menschliche Seele denkt, wenn sie <hi rendition="#b">vergleicht.</hi> Durch das Gefu&#x0364;hl, daß sie dieses <hi rendition="#b">kann;</hi> daß sie in sich selbst Vera&#x0364;nderungen hervorzubringen <hi rendition="#b">vermag,</hi> kommt sie zum Bewußtseyn ihrer Existenz, und weil                   jenes Gefu&#x0364;hl von dem <hi rendition="#b">Standpuncte</hi> abha&#x0364;ngt, aus welchem sie                   die Welt betrachtet, &#x2014; ihrer <hi rendition="#b">individuellen</hi> Existenz. Sie                   verliert aber ihr eigenes Bewußtseyn, wenn sie nicht mehr Jdeen mit Jdeen                   vergleichen, folglich den Standpunct ihrer individuellen Existenz sich nicht mehr                   vorstellen kann.</p>
            <p>Die <hi rendition="#b">Schnelligkeit</hi> und <hi rendition="#b">Richtigkeit</hi> ihrer Vergleichungskraft bestimmt die Grade ihres                   intellectuellen Werths, so wie auch ihrer einzelnen Denkvermo&#x0364;gen, des <hi rendition="#b">Witzes, Scharfsinnes,</hi> der <hi rendition="#b">moralischen                      Urtheilskraft</hi> und des von diesen allen abha&#x0364;ngenden <hi rendition="#b">Geschmacks.</hi></p>
            <p>So lange die Seele keine materiellen Jdeen mit einander vergleichen kann, folglich                   sich ihrer nicht<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0058] Zur Seelennaturkunde 1. Vermischte Gedanken uͤber Denkkraft und Sprache. Die menschliche Seele denkt, wenn sie vergleicht. Durch das Gefuͤhl, daß sie dieses kann; daß sie in sich selbst Veraͤnderungen hervorzubringen vermag, kommt sie zum Bewußtseyn ihrer Existenz, und weil jenes Gefuͤhl von dem Standpuncte abhaͤngt, aus welchem sie die Welt betrachtet, — ihrer individuellen Existenz. Sie verliert aber ihr eigenes Bewußtseyn, wenn sie nicht mehr Jdeen mit Jdeen vergleichen, folglich den Standpunct ihrer individuellen Existenz sich nicht mehr vorstellen kann. Die Schnelligkeit und Richtigkeit ihrer Vergleichungskraft bestimmt die Grade ihres intellectuellen Werths, so wie auch ihrer einzelnen Denkvermoͤgen, des Witzes, Scharfsinnes, der moralischen Urtheilskraft und des von diesen allen abhaͤngenden Geschmacks. So lange die Seele keine materiellen Jdeen mit einander vergleichen kann, folglich sich ihrer nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/58
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/58>, abgerufen am 22.11.2024.