Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
So unwiderstehlich war sein Hang zum Gelde, daß er auch selbst durch die Macht der Krankheit und durch die Annäherung des Todes nicht unterdrückt werden konnte. Endlich starb er würklich im Januar an der Krankheit der Rückgradsdürre, die unheilbar gewesen war. Jch will nun noch einige Umstände in meiner Erzählung über diesen sonderbaren Menschen nachholen, wovon ich, als ich den ersten Aufsatz im vorhergehenden Stücke mittheilte, noch keine Nachricht hatte, und die es noch mehr aufschließen, wie jener unwiderstehliche Hang zum Stehlen und Geldleihen und überhaupt zum Betrügen in ihm nach und nach entstanden seyn mag. Er hatte anfangs studiren sollen, und wahrscheinlich wäre ein vortrefflicher Kopf aus ihm geworden, wenn seine Eltern ihn nicht auf einmahl für einen andern Stand bestimmt hätten, und sein Körper nicht durch heimliche Ausschweifungen, die er im höchsten Uebermaße und fast täglich bei aller dagegen gebrauchten Vorsicht ausübte, zu sehr geschwächt worden wäre. Er wurde also zum Kaufmann bestimmt, und er fand bald an diesem Stande Behagen. Nicht lange vor seinem Tode gestand er noch, daß er eigentlich in diesem Stande sich das Betrügen angewöhnt habe, woraus hernach seine
So unwiderstehlich war sein Hang zum Gelde, daß er auch selbst durch die Macht der Krankheit und durch die Annaͤherung des Todes nicht unterdruͤckt werden konnte. Endlich starb er wuͤrklich im Januar an der Krankheit der Ruͤckgradsduͤrre, die unheilbar gewesen war. Jch will nun noch einige Umstaͤnde in meiner Erzaͤhlung uͤber diesen sonderbaren Menschen nachholen, wovon ich, als ich den ersten Aufsatz im vorhergehenden Stuͤcke mittheilte, noch keine Nachricht hatte, und die es noch mehr aufschließen, wie jener unwiderstehliche Hang zum Stehlen und Geldleihen und uͤberhaupt zum Betruͤgen in ihm nach und nach entstanden seyn mag. Er hatte anfangs studiren sollen, und wahrscheinlich waͤre ein vortrefflicher Kopf aus ihm geworden, wenn seine Eltern ihn nicht auf einmahl fuͤr einen andern Stand bestimmt haͤtten, und sein Koͤrper nicht durch heimliche Ausschweifungen, die er im hoͤchsten Uebermaße und fast taͤglich bei aller dagegen gebrauchten Vorsicht ausuͤbte, zu sehr geschwaͤcht worden waͤre. Er wurde also zum Kaufmann bestimmt, und er fand bald an diesem Stande Behagen. Nicht lange vor seinem Tode gestand er noch, daß er eigentlich in diesem Stande sich das Betruͤgen angewoͤhnt habe, woraus hernach seine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0043" n="43"/><lb/> einmahl alle seine Kraͤfte an, oͤffnete muͤhsam seinen Mund, und langsam lallte er noch die Worte: <hi rendition="#b">leihen Sie mir einen Groschen!</hi></p> <p>So unwiderstehlich war sein Hang zum Gelde, daß er auch selbst durch die Macht der Krankheit und durch die Annaͤherung des Todes nicht unterdruͤckt werden konnte. Endlich starb er wuͤrklich im Januar an der Krankheit der Ruͤckgradsduͤrre, die unheilbar gewesen war.</p> <p>Jch will nun noch einige Umstaͤnde in meiner Erzaͤhlung uͤber diesen sonderbaren Menschen nachholen, wovon ich, als ich den ersten Aufsatz im vorhergehenden Stuͤcke mittheilte, noch keine Nachricht hatte, und die es noch mehr aufschließen, <hi rendition="#b">wie</hi> jener unwiderstehliche Hang zum Stehlen und Geldleihen und uͤberhaupt zum Betruͤgen in ihm nach und nach entstanden seyn mag.</p> <p>Er hatte anfangs studiren sollen, und wahrscheinlich waͤre ein vortrefflicher Kopf aus ihm geworden, wenn seine Eltern ihn nicht auf einmahl fuͤr einen andern Stand bestimmt haͤtten, und sein Koͤrper nicht durch heimliche Ausschweifungen, die er im hoͤchsten Uebermaße und fast taͤglich bei aller dagegen gebrauchten Vorsicht ausuͤbte, zu sehr geschwaͤcht worden waͤre. Er wurde also zum Kaufmann bestimmt, und er fand bald an diesem Stande Behagen. Nicht lange vor seinem Tode gestand er noch, daß er eigentlich in diesem Stande sich das Betruͤgen <hi rendition="#b">angewoͤhnt</hi> habe, woraus hernach seine<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0043]
einmahl alle seine Kraͤfte an, oͤffnete muͤhsam seinen Mund, und langsam lallte er noch die Worte: leihen Sie mir einen Groschen!
So unwiderstehlich war sein Hang zum Gelde, daß er auch selbst durch die Macht der Krankheit und durch die Annaͤherung des Todes nicht unterdruͤckt werden konnte. Endlich starb er wuͤrklich im Januar an der Krankheit der Ruͤckgradsduͤrre, die unheilbar gewesen war.
Jch will nun noch einige Umstaͤnde in meiner Erzaͤhlung uͤber diesen sonderbaren Menschen nachholen, wovon ich, als ich den ersten Aufsatz im vorhergehenden Stuͤcke mittheilte, noch keine Nachricht hatte, und die es noch mehr aufschließen, wie jener unwiderstehliche Hang zum Stehlen und Geldleihen und uͤberhaupt zum Betruͤgen in ihm nach und nach entstanden seyn mag.
Er hatte anfangs studiren sollen, und wahrscheinlich waͤre ein vortrefflicher Kopf aus ihm geworden, wenn seine Eltern ihn nicht auf einmahl fuͤr einen andern Stand bestimmt haͤtten, und sein Koͤrper nicht durch heimliche Ausschweifungen, die er im hoͤchsten Uebermaße und fast taͤglich bei aller dagegen gebrauchten Vorsicht ausuͤbte, zu sehr geschwaͤcht worden waͤre. Er wurde also zum Kaufmann bestimmt, und er fand bald an diesem Stande Behagen. Nicht lange vor seinem Tode gestand er noch, daß er eigentlich in diesem Stande sich das Betruͤgen angewoͤhnt habe, woraus hernach seine
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/43>, abgerufen am 16.02.2025. |