Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
Die menschliche Seele ist nehmlich keines beständigen Gefühls der Widerwärtigkeit fähig, sie verändert gern ihre Gemüthslage, wenn sie lange genug von einerlei Jdeenherrschaft abgehängt hatte, und setzt sich gleichsam wieder in Freiheit. Dies sind die Augenblicke des Aufjauchzens und des frohen Herzklopfens, welches die Hypochondristen nicht selten in ihren schwachen Stunden empfinden, und die jene frommen Religiösen, die meist Hypochondristen sind, ausserordentliche Würkungen der göttlichen Gnade, freilich mit großem Unrecht, genennt haben, weil sie sich ganz deutlich aus der Natur unserer Seele und Jmagination erklären lassen. Jch empfehle meinen hypochondrischen und unhypochondrischen Lesern, welche über die Milzkrankheit etwas Vortreffliches lesen wollen, die Betrachtungen des Herrn D. Platners in Leipzig, welche er seiner Uebersetzung des Versuchs über die Verrichtungen und Krankheiten des menschlichen Verstandes (von J. F. Dü four) über die Hypochondrie beygefügt hat.
Die menschliche Seele ist nehmlich keines bestaͤndigen Gefuͤhls der Widerwaͤrtigkeit faͤhig, sie veraͤndert gern ihre Gemuͤthslage, wenn sie lange genug von einerlei Jdeenherrschaft abgehaͤngt hatte, und setzt sich gleichsam wieder in Freiheit. Dies sind die Augenblicke des Aufjauchzens und des frohen Herzklopfens, welches die Hypochondristen nicht selten in ihren schwachen Stunden empfinden, und die jene frommen Religioͤsen, die meist Hypochondristen sind, ausserordentliche Wuͤrkungen der goͤttlichen Gnade, freilich mit großem Unrecht, genennt haben, weil sie sich ganz deutlich aus der Natur unserer Seele und Jmagination erklaͤren lassen. Jch empfehle meinen hypochondrischen und unhypochondrischen Lesern, welche uͤber die Milzkrankheit etwas Vortreffliches lesen wollen, die Betrachtungen des Herrn D. Platners in Leipzig, welche er seiner Uebersetzung des Versuchs uͤber die Verrichtungen und Krankheiten des menschlichen Verstandes (von J. F. Duͤ four) uͤber die Hypochondrie beygefuͤgt hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0039" n="39"/><lb/> die Kraft der Vernunft und des Nachdenkens, welche ihm hier beisteht, denn gemeiniglich curiren die staͤrksten Vernunftgruͤnde den Hypochondristen am allerwenigsten; sondern er fuͤhlt auf einmahl, ohne sein Zuthun, oft einen Trieb sich zu freuen, <choice><corr>der</corr><sic>die</sic></choice> seinen Schmerz und seine Bangigkeit betaͤubt und auf einige Zeit seine ganze Seele umstimmt, davon in Bernds Lebensbeschreibung auch Beispiele vorkommen.</p> <p>Die menschliche Seele ist nehmlich keines bestaͤndigen Gefuͤhls der <choice><corr>Widerwaͤrtigkeit</corr><sic>Wuͤrdigkeit</sic></choice> faͤhig, sie veraͤndert gern ihre Gemuͤthslage, wenn sie lange genug von einerlei Jdeenherrschaft abgehaͤngt hatte, und setzt sich gleichsam wieder in Freiheit. Dies sind die Augenblicke des Aufjauchzens und des frohen Herzklopfens, welches die Hypochondristen nicht selten in ihren schwachen Stunden empfinden, und die jene frommen Religioͤsen, die meist Hypochondristen sind, ausserordentliche Wuͤrkungen der goͤttlichen Gnade, freilich mit großem Unrecht, genennt haben, weil sie sich ganz deutlich <hi rendition="#b">aus der Natur unserer Seele und Jmagination erklaͤren</hi> lassen. Jch empfehle meinen hypochondrischen und unhypochondrischen Lesern, welche uͤber die Milzkrankheit etwas Vortreffliches lesen wollen, die Betrachtungen des Herrn <hi rendition="#aq">D.</hi> Platners in Leipzig, welche er seiner Uebersetzung des Versuchs uͤber die Verrichtungen und Krankheiten des menschlichen Verstandes (von J. F. Duͤ four) uͤber die Hypochondrie beygefuͤgt hat.</p> <p rendition="#right"> <hi rendition="#b"> <persName ref="#ref0002"><note type="editorial">Pockels, Carl Friedrich</note>P.</persName> </hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0039]
die Kraft der Vernunft und des Nachdenkens, welche ihm hier beisteht, denn gemeiniglich curiren die staͤrksten Vernunftgruͤnde den Hypochondristen am allerwenigsten; sondern er fuͤhlt auf einmahl, ohne sein Zuthun, oft einen Trieb sich zu freuen, der seinen Schmerz und seine Bangigkeit betaͤubt und auf einige Zeit seine ganze Seele umstimmt, davon in Bernds Lebensbeschreibung auch Beispiele vorkommen.
Die menschliche Seele ist nehmlich keines bestaͤndigen Gefuͤhls der Widerwaͤrtigkeit faͤhig, sie veraͤndert gern ihre Gemuͤthslage, wenn sie lange genug von einerlei Jdeenherrschaft abgehaͤngt hatte, und setzt sich gleichsam wieder in Freiheit. Dies sind die Augenblicke des Aufjauchzens und des frohen Herzklopfens, welches die Hypochondristen nicht selten in ihren schwachen Stunden empfinden, und die jene frommen Religioͤsen, die meist Hypochondristen sind, ausserordentliche Wuͤrkungen der goͤttlichen Gnade, freilich mit großem Unrecht, genennt haben, weil sie sich ganz deutlich aus der Natur unserer Seele und Jmagination erklaͤren lassen. Jch empfehle meinen hypochondrischen und unhypochondrischen Lesern, welche uͤber die Milzkrankheit etwas Vortreffliches lesen wollen, die Betrachtungen des Herrn D. Platners in Leipzig, welche er seiner Uebersetzung des Versuchs uͤber die Verrichtungen und Krankheiten des menschlichen Verstandes (von J. F. Duͤ four) uͤber die Hypochondrie beygefuͤgt hat.
P.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/39 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/39>, abgerufen am 16.02.2025. |