Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
Jm Sommer 1728 wird der Verfasser seines Buchs wegen vorgeladen, -- und von da fangen sich seine neuen Leiden an. "Jch sahe auf einmahl wieder erbärmlich aus, fährt er fort; ich verlor allen Appetit zum Essen, ich wagte es nicht mehr aus meinem Fenster im zweiten Stocke herauszusehen, und ich ließ den Vorsteher durch meinen Küster ersuchen, er möchte mich doch ins Waisenhaus oder sonst in Sicherheit und Verwahrung bringen, denn es vergingen mir alle Gedanken, und müßte befürchten, wann ich meines Verstandes sollte beraubt werden, das zu thun, wovor ich in meinem Leben jederzeit den größten Abscheu gehabt (nehmlich sich umzubringen). Jch legte Schlösser vor meine Fenster, damit ich nicht etwa die Nacht herausspringen möchte. Es quälte mein Gemüth, daß ich durch Mißtrauen von Gott abgefallen. -- Es schmiß, warf und polterte in meiner Kammer, oder zum wenigsten in meiner Jmagination, daß mir Angst und bange wurde. Endlich faßte ich einen andern Entschluß, und dachte: ehe ich soll in solcher unbeschreiblichen Seelenangst auf meinem Lager liegen, so will ich lieber alles aufmachen, Schlösser und alles wegthun, es gehe, wie Gott wolle". "Jch wurde von meinem Amte suspendirt, und hundertterlei fürchterliche Nachrichten wurden mir
Jm Sommer 1728 wird der Verfasser seines Buchs wegen vorgeladen, — und von da fangen sich seine neuen Leiden an. »Jch sahe auf einmahl wieder erbaͤrmlich aus, faͤhrt er fort; ich verlor allen Appetit zum Essen, ich wagte es nicht mehr aus meinem Fenster im zweiten Stocke herauszusehen, und ich ließ den Vorsteher durch meinen Kuͤster ersuchen, er moͤchte mich doch ins Waisenhaus oder sonst in Sicherheit und Verwahrung bringen, denn es vergingen mir alle Gedanken, und muͤßte befuͤrchten, wann ich meines Verstandes sollte beraubt werden, das zu thun, wovor ich in meinem Leben jederzeit den groͤßten Abscheu gehabt (nehmlich sich umzubringen). Jch legte Schloͤsser vor meine Fenster, damit ich nicht etwa die Nacht herausspringen moͤchte. Es quaͤlte mein Gemuͤth, daß ich durch Mißtrauen von Gott abgefallen. — Es schmiß, warf und polterte in meiner Kammer, oder zum wenigsten in meiner Jmagination, daß mir Angst und bange wurde. Endlich faßte ich einen andern Entschluß, und dachte: ehe ich soll in solcher unbeschreiblichen Seelenangst auf meinem Lager liegen, so will ich lieber alles aufmachen, Schloͤsser und alles wegthun, es gehe, wie Gott wolle«. »Jch wurde von meinem Amte suspendirt, und hundertterlei fuͤrchterliche Nachrichten wurden mir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0033" n="33"/><lb/> aller Ruhe, bei aller Gemuͤthsstille, so daß ich mich vom Fenster hinwegsetzen und weiter davon im Lesen entfernen mußte«. —</p> <p>Jm Sommer 1728 wird der Verfasser seines Buchs wegen vorgeladen, — und von da fangen sich seine neuen Leiden an. »Jch sahe auf einmahl wieder erbaͤrmlich aus, faͤhrt er fort; ich verlor allen Appetit zum Essen, ich wagte es nicht mehr aus meinem Fenster im zweiten Stocke herauszusehen, und ich ließ den Vorsteher durch meinen Kuͤster ersuchen, er moͤchte mich doch ins Waisenhaus oder sonst in Sicherheit und Verwahrung bringen, denn es vergingen mir alle Gedanken, und muͤßte befuͤrchten, wann ich meines Verstandes sollte beraubt werden, das zu thun, wovor ich in meinem Leben jederzeit den groͤßten Abscheu gehabt (nehmlich sich umzubringen). Jch legte Schloͤsser vor meine Fenster, damit ich nicht etwa die Nacht herausspringen moͤchte. Es quaͤlte mein Gemuͤth, daß ich durch Mißtrauen von Gott abgefallen. — Es schmiß, warf und polterte in meiner Kammer, oder zum wenigsten in meiner Jmagination, daß mir Angst und bange wurde. Endlich faßte ich einen andern Entschluß, und dachte: ehe ich soll in solcher unbeschreiblichen Seelenangst auf meinem Lager liegen, so will ich lieber alles aufmachen, Schloͤsser und alles wegthun, es gehe, wie Gott wolle«.</p> <p>»Jch wurde von meinem Amte suspendirt, und hundertterlei fuͤrchterliche Nachrichten wurden mir<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [33/0033]
aller Ruhe, bei aller Gemuͤthsstille, so daß ich mich vom Fenster hinwegsetzen und weiter davon im Lesen entfernen mußte«. —
Jm Sommer 1728 wird der Verfasser seines Buchs wegen vorgeladen, — und von da fangen sich seine neuen Leiden an. »Jch sahe auf einmahl wieder erbaͤrmlich aus, faͤhrt er fort; ich verlor allen Appetit zum Essen, ich wagte es nicht mehr aus meinem Fenster im zweiten Stocke herauszusehen, und ich ließ den Vorsteher durch meinen Kuͤster ersuchen, er moͤchte mich doch ins Waisenhaus oder sonst in Sicherheit und Verwahrung bringen, denn es vergingen mir alle Gedanken, und muͤßte befuͤrchten, wann ich meines Verstandes sollte beraubt werden, das zu thun, wovor ich in meinem Leben jederzeit den groͤßten Abscheu gehabt (nehmlich sich umzubringen). Jch legte Schloͤsser vor meine Fenster, damit ich nicht etwa die Nacht herausspringen moͤchte. Es quaͤlte mein Gemuͤth, daß ich durch Mißtrauen von Gott abgefallen. — Es schmiß, warf und polterte in meiner Kammer, oder zum wenigsten in meiner Jmagination, daß mir Angst und bange wurde. Endlich faßte ich einen andern Entschluß, und dachte: ehe ich soll in solcher unbeschreiblichen Seelenangst auf meinem Lager liegen, so will ich lieber alles aufmachen, Schloͤsser und alles wegthun, es gehe, wie Gott wolle«.
»Jch wurde von meinem Amte suspendirt, und hundertterlei fuͤrchterliche Nachrichten wurden mir
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/33>, abgerufen am 16.02.2025. |