Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.Seine Predigten fanden bald einen erstaunlichen Beifall. Er sagt: daß oft über 40 Kutschen vor der Kirche gehalten, wenn er gepredigt habe, und daß seine Vorträge von den vornehmsten und angesehendsten Leuten häufig besucht worden wären, und woran sein neuer, zum Theil dogmatisch moralischer Lehrvortrag mit Ursache gewesen sey. Er erhielt von Vielen sehr reichliche Geschenke, und war der geistliche Rathgeber einer Menge von vornehmen Familien, die ihn wie ihren Vater liebten. Allein dieses Glück dauerte nicht sehr lange. Die Geistlichen, neidisch auf seinen Ruhm, fingen ihn zu verfolgen an, und jeder kleine Fehler wurde, ihn anzuschwärzen, genutzt. Man zog ihn öffentlich in den Predigten durch, und suchte seine Zuhörer zu bereden, daß er Dinge vortrüge, die sich nicht auf die Kanzel schickten. Zu diesem Amtsleiden gesellten sich nun aber auch bald seine neuen Leibes- und Gemüthsunruhen. Sein Körper wurde auf einmahl wieder so schwach, daß er mit einer Art Höllenangst die Kanzel bestieg, indem er eine beständige Neigung zum Vomiren in sich fühlte, welche Neigung in ihm auch jedesmahl rege wurde, wenn er Menschen erblickte, die ihres Verstandes beraubt waren. "Das Bild eines thörigten Menschen, sagt er, oder auch eines Patienten, der im Fieber raset und seltsame Dinge redet, drückt sich so tief in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage nicht herausbringen kann, und immer eodem modo agiren will". Seine Predigten fanden bald einen erstaunlichen Beifall. Er sagt: daß oft uͤber 40 Kutschen vor der Kirche gehalten, wenn er gepredigt habe, und daß seine Vortraͤge von den vornehmsten und angesehendsten Leuten haͤufig besucht worden waͤren, und woran sein neuer, zum Theil dogmatisch moralischer Lehrvortrag mit Ursache gewesen sey. Er erhielt von Vielen sehr reichliche Geschenke, und war der geistliche Rathgeber einer Menge von vornehmen Familien, die ihn wie ihren Vater liebten. Allein dieses Gluͤck dauerte nicht sehr lange. Die Geistlichen, neidisch auf seinen Ruhm, fingen ihn zu verfolgen an, und jeder kleine Fehler wurde, ihn anzuschwaͤrzen, genutzt. Man zog ihn oͤffentlich in den Predigten durch, und suchte seine Zuhoͤrer zu bereden, daß er Dinge vortruͤge, die sich nicht auf die Kanzel schickten. Zu diesem Amtsleiden gesellten sich nun aber auch bald seine neuen Leibes- und Gemuͤthsunruhen. Sein Koͤrper wurde auf einmahl wieder so schwach, daß er mit einer Art Hoͤllenangst die Kanzel bestieg, indem er eine bestaͤndige Neigung zum Vomiren in sich fuͤhlte, welche Neigung in ihm auch jedesmahl rege wurde, wenn er Menschen erblickte, die ihres Verstandes beraubt waren. »Das Bild eines thoͤrigten Menschen, sagt er, oder auch eines Patienten, der im Fieber raset und seltsame Dinge redet, druͤckt sich so tief in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage nicht herausbringen kann, und immer eodem modo agiren will«. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0022" n="22"/><lb/> <p>Seine Predigten fanden bald einen erstaunlichen Beifall. Er sagt: daß oft uͤber 40 Kutschen vor der Kirche gehalten, wenn er gepredigt habe, und daß seine Vortraͤge von den vornehmsten und angesehendsten Leuten haͤufig besucht worden waͤren, und woran sein neuer, zum Theil dogmatisch moralischer Lehrvortrag mit Ursache gewesen sey. Er erhielt von Vielen sehr reichliche Geschenke, und war der geistliche Rathgeber einer Menge von vornehmen Familien, die ihn wie ihren Vater liebten. Allein dieses Gluͤck dauerte nicht sehr lange. <hi rendition="#b">Die Geistlichen,</hi> neidisch auf seinen Ruhm, fingen ihn zu verfolgen an, und jeder kleine Fehler wurde, ihn anzuschwaͤrzen, genutzt. Man zog ihn oͤffentlich in den Predigten durch, und suchte seine Zuhoͤrer zu bereden, daß er Dinge vortruͤge, die sich nicht auf die Kanzel schickten. Zu diesem Amtsleiden gesellten sich nun aber auch bald seine neuen Leibes- und Gemuͤthsunruhen. Sein Koͤrper wurde auf einmahl wieder so schwach, daß er mit einer Art Hoͤllenangst die Kanzel bestieg, indem er eine bestaͤndige Neigung zum Vomiren in sich fuͤhlte, welche Neigung in ihm auch jedesmahl rege wurde, wenn er Menschen erblickte, die ihres Verstandes beraubt waren. »Das Bild eines thoͤrigten Menschen, sagt er, oder auch eines Patienten, der im Fieber raset und seltsame Dinge redet, druͤckt sich so tief in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage nicht herausbringen kann, und immer <hi rendition="#aq">eodem modo</hi> agiren will«.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0022]
Seine Predigten fanden bald einen erstaunlichen Beifall. Er sagt: daß oft uͤber 40 Kutschen vor der Kirche gehalten, wenn er gepredigt habe, und daß seine Vortraͤge von den vornehmsten und angesehendsten Leuten haͤufig besucht worden waͤren, und woran sein neuer, zum Theil dogmatisch moralischer Lehrvortrag mit Ursache gewesen sey. Er erhielt von Vielen sehr reichliche Geschenke, und war der geistliche Rathgeber einer Menge von vornehmen Familien, die ihn wie ihren Vater liebten. Allein dieses Gluͤck dauerte nicht sehr lange. Die Geistlichen, neidisch auf seinen Ruhm, fingen ihn zu verfolgen an, und jeder kleine Fehler wurde, ihn anzuschwaͤrzen, genutzt. Man zog ihn oͤffentlich in den Predigten durch, und suchte seine Zuhoͤrer zu bereden, daß er Dinge vortruͤge, die sich nicht auf die Kanzel schickten. Zu diesem Amtsleiden gesellten sich nun aber auch bald seine neuen Leibes- und Gemuͤthsunruhen. Sein Koͤrper wurde auf einmahl wieder so schwach, daß er mit einer Art Hoͤllenangst die Kanzel bestieg, indem er eine bestaͤndige Neigung zum Vomiren in sich fuͤhlte, welche Neigung in ihm auch jedesmahl rege wurde, wenn er Menschen erblickte, die ihres Verstandes beraubt waren. »Das Bild eines thoͤrigten Menschen, sagt er, oder auch eines Patienten, der im Fieber raset und seltsame Dinge redet, druͤckt sich so tief in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage nicht herausbringen kann, und immer eodem modo agiren will«.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/22>, abgerufen am 22.07.2024. |