Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


daß unsere eigene Geisteskraft oft ganz mit den vorhergehenden Zuständen des Denkens heterogene Begriffe gleichsam aus sich selbst hervorbringt.

b) Aus dem bangen oder hervorhebenden Gefühle welches sie begleitet? -- Auch nicht! Denn wie kann ich wissen, ob jenes bange herzerhebende Gefühl nicht blos eine Würkung meiner Einbildungskraft, meines dicken oder lebhaften Bluts, meiner gegenwärtigen versteckten Gemüthslage sey, zumahl da es ausgemacht, daß jene bangen und herzerhebenden Gefühle fast immer körperlichen Ursprungs sind.

c) An dem damit verbundenen deutlichen Bewußtseyn, daß dies oder jenes würklich eintreffen werde? -- Gewiß nicht! Denn jenes Bewußtseyn kann durch bloße Bilder der Phantasie seine Stärke und Lebhaftigkeit erhalten haben, und wie viele hundert Fälle giebt es nicht, wo die Menschen etwas ganz positiv vorherzusehen glaubten, was nicht eintraf. -- Wo blieb also bei dergleichen Fällen der geträumte Credit eines angenommenen göttlichen Einflusses? -- --

Man gehe alle Kennzeichen menschlicher Begriffe und Vorstellungsarten durch, und man wird kein einziges finden, von dem ich mit Gewißheit sagen könnte: daß es einen göttlichen Ursprung eines in uns entstandenen besondern Gefühls oder einer solchen Jdee deutlich anzeige. Solange es also dergleichen sichere Criterien eines uns


daß unsere eigene Geisteskraft oft ganz mit den vorhergehenden Zustaͤnden des Denkens heterogene Begriffe gleichsam aus sich selbst hervorbringt.

b) Aus dem bangen oder hervorhebenden Gefuͤhle welches sie begleitet? — Auch nicht! Denn wie kann ich wissen, ob jenes bange herzerhebende Gefuͤhl nicht blos eine Wuͤrkung meiner Einbildungskraft, meines dicken oder lebhaften Bluts, meiner gegenwaͤrtigen versteckten Gemuͤthslage sey, zumahl da es ausgemacht, daß jene bangen und herzerhebenden Gefuͤhle fast immer koͤrperlichen Ursprungs sind.

c) An dem damit verbundenen deutlichen Bewußtseyn, daß dies oder jenes wuͤrklich eintreffen werde? — Gewiß nicht! Denn jenes Bewußtseyn kann durch bloße Bilder der Phantasie seine Staͤrke und Lebhaftigkeit erhalten haben, und wie viele hundert Faͤlle giebt es nicht, wo die Menschen etwas ganz positiv vorherzusehen glaubten, was nicht eintraf. — Wo blieb also bei dergleichen Faͤllen der getraͤumte Credit eines angenommenen goͤttlichen Einflusses? — —

Man gehe alle Kennzeichen menschlicher Begriffe und Vorstellungsarten durch, und man wird kein einziges finden, von dem ich mit Gewißheit sagen koͤnnte: daß es einen goͤttlichen Ursprung eines in uns entstandenen besondern Gefuͤhls oder einer solchen Jdee deutlich anzeige. Solange es also dergleichen sichere Criterien eines uns

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0012" n="12"/><lb/>
daß unsere eigene                   Geisteskraft oft ganz mit den vorhergehenden Zusta&#x0364;nden des Denkens <hi rendition="#b"><choice><corr>heterogene</corr><sic>betrogene</sic></choice> Begriffe gleichsam aus sich</hi> selbst                   hervorbringt.</p>
          <p>b) Aus dem <hi rendition="#b">bangen oder hervorhebenden Gefu&#x0364;hle</hi> welches sie                   begleitet? &#x2014; Auch nicht! Denn wie kann ich wissen, ob jenes bange herzerhebende                   Gefu&#x0364;hl nicht <hi rendition="#b">blos eine Wu&#x0364;rkung meiner Einbildungskraft,</hi> meines dicken oder lebhaften Bluts, meiner gegenwa&#x0364;rtigen versteckten Gemu&#x0364;thslage                   sey, zumahl da es ausgemacht, daß jene bangen und herzerhebenden Gefu&#x0364;hle fast                   immer <hi rendition="#b">ko&#x0364;rperlichen Ursprungs sind.</hi></p>
          <p>c) An dem damit verbundenen <hi rendition="#b">deutlichen Bewußtseyn,</hi> daß                   dies oder jenes wu&#x0364;rklich eintreffen werde? &#x2014; Gewiß nicht! Denn jenes Bewußtseyn                   kann durch <hi rendition="#b">bloße Bilder</hi> der Phantasie seine Sta&#x0364;rke und                   Lebhaftigkeit erhalten haben, und wie viele hundert Fa&#x0364;lle giebt es nicht, wo die                   Menschen etwas ganz <hi rendition="#b">positiv</hi> vorherzusehen glaubten, <hi rendition="#b">was nicht eintraf. &#x2014; Wo blieb also bei dergleichen Fa&#x0364;llen der                      getra&#x0364;umte Credit eines angenommenen go&#x0364;ttlichen Einflusses?</hi> &#x2014; &#x2014;</p>
          <p>Man gehe <hi rendition="#b">alle Kennzeichen</hi> menschlicher Begriffe und                   Vorstellungsarten durch, und man wird kein <hi rendition="#b">einziges                      finden,</hi> von dem ich mit <hi rendition="#b">Gewißheit</hi> sagen ko&#x0364;nnte:                   daß es einen go&#x0364;ttlichen Ursprung eines in uns entstandenen besondern Gefu&#x0364;hls oder                   einer solchen Jdee deutlich anzeige. Solange es also dergleichen sichere Criterien                   eines uns<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0012] daß unsere eigene Geisteskraft oft ganz mit den vorhergehenden Zustaͤnden des Denkens heterogene Begriffe gleichsam aus sich selbst hervorbringt. b) Aus dem bangen oder hervorhebenden Gefuͤhle welches sie begleitet? — Auch nicht! Denn wie kann ich wissen, ob jenes bange herzerhebende Gefuͤhl nicht blos eine Wuͤrkung meiner Einbildungskraft, meines dicken oder lebhaften Bluts, meiner gegenwaͤrtigen versteckten Gemuͤthslage sey, zumahl da es ausgemacht, daß jene bangen und herzerhebenden Gefuͤhle fast immer koͤrperlichen Ursprungs sind. c) An dem damit verbundenen deutlichen Bewußtseyn, daß dies oder jenes wuͤrklich eintreffen werde? — Gewiß nicht! Denn jenes Bewußtseyn kann durch bloße Bilder der Phantasie seine Staͤrke und Lebhaftigkeit erhalten haben, und wie viele hundert Faͤlle giebt es nicht, wo die Menschen etwas ganz positiv vorherzusehen glaubten, was nicht eintraf. — Wo blieb also bei dergleichen Faͤllen der getraͤumte Credit eines angenommenen goͤttlichen Einflusses? — — Man gehe alle Kennzeichen menschlicher Begriffe und Vorstellungsarten durch, und man wird kein einziges finden, von dem ich mit Gewißheit sagen koͤnnte: daß es einen goͤttlichen Ursprung eines in uns entstandenen besondern Gefuͤhls oder einer solchen Jdee deutlich anzeige. Solange es also dergleichen sichere Criterien eines uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/12
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/12>, abgerufen am 18.12.2024.