Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Diese Meinungen, welche noch jetzt für meine Einbildungskraft viel Anziehendes haben, brachten mich auf eine andere, daß wir nehmlich lange vor unsrer Geburt existirt haben könnten; und hier fand ich ein neues Feld von Vermuthungen vor mir, das mir ganz unabsehbar schien. Endlich folgerte ich daraus eine ewige Präexistenz meiner Seele, und wer war glücklicher als ich, da ich dadurch alle meine Zweifel über den ersten Ursprung der Menschen besiegt zu haben glaubte! Zweifel, die bei mir aber nachher desto stärker wurden, je mehr ich einsehen lernte, daß uns grade über diesen Punkt die Geschichte nichts sagen könne. Jn meinem einundzwanzigsten Jahre fielen mir in dem Hause meines schwärmerischen Freundes zu -in
Diese Meinungen, welche noch jetzt fuͤr meine Einbildungskraft viel Anziehendes haben, brachten mich auf eine andere, daß wir nehmlich lange vor unsrer Geburt existirt haben koͤnnten; und hier fand ich ein neues Feld von Vermuthungen vor mir, das mir ganz unabsehbar schien. Endlich folgerte ich daraus eine ewige Praͤexistenz meiner Seele, und wer war gluͤcklicher als ich, da ich dadurch alle meine Zweifel uͤber den ersten Ursprung der Menschen besiegt zu haben glaubte! Zweifel, die bei mir aber nachher desto staͤrker wurden, je mehr ich einsehen lernte, daß uns grade uͤber diesen Punkt die Geschichte nichts sagen koͤnne. Jn meinem einundzwanzigsten Jahre fielen mir in dem Hause meines schwaͤrmerischen Freundes zu –in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0093" n="91"/><lb/> rungsbegriffe erhalten koͤnnten, welche vielleicht in Zukunft in die groͤßere Entwickelung unsrer geistigen Natur keinen geringen Einfluß haben duͤrften.</p> <p>Diese Meinungen, welche noch jetzt fuͤr meine Einbildungskraft viel Anziehendes haben, brachten mich auf eine andere, daß wir nehmlich lange <hi rendition="#b">vor</hi> unsrer Geburt existirt haben koͤnnten; und hier fand ich ein neues Feld von Vermuthungen vor mir, das mir ganz unabsehbar schien. Endlich folgerte ich daraus eine ewige Praͤexistenz meiner Seele, und wer war gluͤcklicher als ich, da ich dadurch alle meine Zweifel uͤber den ersten Ursprung der Menschen besiegt zu haben glaubte! Zweifel, die bei mir aber nachher desto staͤrker wurden, je mehr ich einsehen lernte, daß uns grade uͤber diesen Punkt die Geschichte <hi rendition="#b">nichts</hi> sagen koͤnne.</p> <p>Jn meinem einundzwanzigsten Jahre fielen mir in dem Hause meines schwaͤrmerischen Freundes zu –in <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0027"><note type="editorial">Lavater, Johann Caspar</note>Lavaters</persName></hi> Aussichten in die Ewigkeit in die Haͤnde. Jch habe nie ein Buch mit solchem Heißhunger verschlungen, als dieses, und ohnstreitig ist es wohl das beste, was aus dem gluͤhenden Gehirne <persName ref="#ref0027"><note type="editorial">Lavater, Johann Caspar</note>Lavaters</persName> hervorgekommen ist. Jch las es mehr als einmahl, ich glaubte, indem ich las, daß alles sehr ausgedacht und wahr seyn muͤsse; ich machte mir von der Schoͤpferkraft der Seeligen, von ihren Lichtkoͤrpern, von der unendlichen Ausdehnbarkeit ihrer Seelen, und ihrer Zusammenziehung in einen Punkt, von ihrer Durchdringlichkeit,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0093]
rungsbegriffe erhalten koͤnnten, welche vielleicht in Zukunft in die groͤßere Entwickelung unsrer geistigen Natur keinen geringen Einfluß haben duͤrften.
Diese Meinungen, welche noch jetzt fuͤr meine Einbildungskraft viel Anziehendes haben, brachten mich auf eine andere, daß wir nehmlich lange vor unsrer Geburt existirt haben koͤnnten; und hier fand ich ein neues Feld von Vermuthungen vor mir, das mir ganz unabsehbar schien. Endlich folgerte ich daraus eine ewige Praͤexistenz meiner Seele, und wer war gluͤcklicher als ich, da ich dadurch alle meine Zweifel uͤber den ersten Ursprung der Menschen besiegt zu haben glaubte! Zweifel, die bei mir aber nachher desto staͤrker wurden, je mehr ich einsehen lernte, daß uns grade uͤber diesen Punkt die Geschichte nichts sagen koͤnne.
Jn meinem einundzwanzigsten Jahre fielen mir in dem Hause meines schwaͤrmerischen Freundes zu –in Lavaters Aussichten in die Ewigkeit in die Haͤnde. Jch habe nie ein Buch mit solchem Heißhunger verschlungen, als dieses, und ohnstreitig ist es wohl das beste, was aus dem gluͤhenden Gehirne Lavaters hervorgekommen ist. Jch las es mehr als einmahl, ich glaubte, indem ich las, daß alles sehr ausgedacht und wahr seyn muͤsse; ich machte mir von der Schoͤpferkraft der Seeligen, von ihren Lichtkoͤrpern, von der unendlichen Ausdehnbarkeit ihrer Seelen, und ihrer Zusammenziehung in einen Punkt, von ihrer Durchdringlichkeit,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/93>, abgerufen am 17.07.2024. |