Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Nächst der Uberzeugung von meiner eigenen Existenz, die mir durch den Beweis meines Bewustseyns vollkommen deutlich war, schien mir die von dem Daseyn einer ersten Ursache aller Dinge unumstößlich gewiß zu seyn; allein es war mir durchaus nicht möglich, Gott und die Welt in Absicht auf Zeit und Raum von einander zu trennen. Wenn ich gleich beide nicht in Absicht ihrer individuellen Eigenschaften mit einander verwechselte; so hielt ich sie doch für zwei von einander abhängende Begriffe. Gott und die Welt waren nach meiner Meinung gleich ausgedehnt, gleich ewig, und Gott die Seele der letztern, deren Denkkräfte sich ohngefähr so in die Materie, wie die der menschlichen Seele in den Körper ergoßen.Jch war auf alle diese Jdeen durch eigenes Nachdenken gekommen. Jch hatte damahls noch nichts von Plato, Timäus Locrus und Spinoza gelesen. - Die Vernunft war mir jetzt das einzige Principium aller Erkenntniß und Wahrheit geworden - - - - - - - - - - Hier müssen wir verschiedene freie Religionsideen des Verfassers der Schwachdenkenden wegen unterdrücken, so lehrreich sie auch für den unbefangenen Denker seyn würden. Nichts hat meine Phantasie mehr in Bewegung gesetzt, als die mannigfaltigen Hypothesen von der Beschaffenheit eines zukünftigen Lebens. Jn mei-
Naͤchst der Uberzeugung von meiner eigenen Existenz, die mir durch den Beweis meines Bewustseyns vollkommen deutlich war, schien mir die von dem Daseyn einer ersten Ursache aller Dinge unumstoͤßlich gewiß zu seyn; allein es war mir durchaus nicht moͤglich, Gott und die Welt in Absicht auf Zeit und Raum von einander zu trennen. Wenn ich gleich beide nicht in Absicht ihrer individuellen Eigenschaften mit einander verwechselte; so hielt ich sie doch fuͤr zwei von einander abhaͤngende Begriffe. Gott und die Welt waren nach meiner Meinung gleich ausgedehnt, gleich ewig, und Gott die Seele der letztern, deren Denkkraͤfte sich ohngefaͤhr so in die Materie, wie die der menschlichen Seele in den Koͤrper ergoßen.Jch war auf alle diese Jdeen durch eigenes Nachdenken gekommen. Jch hatte damahls noch nichts von Plato, Timaͤus Locrus und Spinoza gelesen. – Die Vernunft war mir jetzt das einzige Principium aller Erkenntniß und Wahrheit geworden – – – – – – – – – – Hier muͤssen wir verschiedene freie Religionsideen des Verfassers der Schwachdenkenden wegen unterdruͤcken, so lehrreich sie auch fuͤr den unbefangenen Denker seyn wuͤrden. Nichts hat meine Phantasie mehr in Bewegung gesetzt, als die mannigfaltigen Hypothesen von der Beschaffenheit eines zukuͤnftigen Lebens. Jn mei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0091" n="89"/><lb/> bemuͤhete mich daher, das wieder nach und nach <hi rendition="#b">aufzubauen,</hi> was ich bisher <hi rendition="#b">eingerissen hatte.</hi></p> <p>Naͤchst der Uberzeugung von meiner eigenen Existenz, die mir durch den Beweis meines <hi rendition="#b">Bewustseyns</hi> vollkommen deutlich war, schien mir die von dem Daseyn einer ersten Ursache aller Dinge <hi rendition="#b">unumstoͤßlich</hi> gewiß zu seyn; allein es war mir durchaus nicht moͤglich, Gott und die Welt in Absicht auf <hi rendition="#b">Zeit</hi> und <hi rendition="#b">Raum</hi> von einander zu trennen. Wenn ich gleich beide nicht in Absicht ihrer <hi rendition="#b">individuellen</hi> Eigenschaften mit einander verwechselte; so hielt ich sie doch fuͤr zwei von einander <choice><corr>abhaͤngende</corr><sic>abhangende</sic></choice> Begriffe. Gott und die Welt waren nach meiner Meinung <hi rendition="#b">gleich</hi> ausgedehnt, <hi rendition="#b">gleich</hi> ewig, und Gott die <hi rendition="#b">Seele</hi> der letztern, deren <hi rendition="#b">Denkkraͤfte</hi> sich ohngefaͤhr so in die Materie, wie die der menschlichen Seele in den Koͤrper <choice><corr>ergoßen.</corr><sic>ergoͤßen</sic></choice>Jch war auf alle diese Jdeen durch eigenes Nachdenken gekommen. Jch hatte damahls noch nichts von Plato, Timaͤus Locrus und Spinoza gelesen. – Die Vernunft war mir jetzt das <hi rendition="#b">einzige Principium</hi> aller Erkenntniß und Wahrheit geworden – – – – – – – – – – Hier muͤssen wir verschiedene freie Religionsideen des Verfassers der Schwachdenkenden wegen unterdruͤcken, so lehrreich sie auch fuͤr den unbefangenen Denker seyn wuͤrden.</p> <p>Nichts hat meine Phantasie mehr in Bewegung gesetzt, als die mannigfaltigen Hypothesen von der Beschaffenheit eines zukuͤnftigen Lebens. Jn mei-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0091]
bemuͤhete mich daher, das wieder nach und nach aufzubauen, was ich bisher eingerissen hatte.
Naͤchst der Uberzeugung von meiner eigenen Existenz, die mir durch den Beweis meines Bewustseyns vollkommen deutlich war, schien mir die von dem Daseyn einer ersten Ursache aller Dinge unumstoͤßlich gewiß zu seyn; allein es war mir durchaus nicht moͤglich, Gott und die Welt in Absicht auf Zeit und Raum von einander zu trennen. Wenn ich gleich beide nicht in Absicht ihrer individuellen Eigenschaften mit einander verwechselte; so hielt ich sie doch fuͤr zwei von einander abhaͤngende Begriffe. Gott und die Welt waren nach meiner Meinung gleich ausgedehnt, gleich ewig, und Gott die Seele der letztern, deren Denkkraͤfte sich ohngefaͤhr so in die Materie, wie die der menschlichen Seele in den Koͤrper ergoßen.Jch war auf alle diese Jdeen durch eigenes Nachdenken gekommen. Jch hatte damahls noch nichts von Plato, Timaͤus Locrus und Spinoza gelesen. – Die Vernunft war mir jetzt das einzige Principium aller Erkenntniß und Wahrheit geworden – – – – – – – – – – Hier muͤssen wir verschiedene freie Religionsideen des Verfassers der Schwachdenkenden wegen unterdruͤcken, so lehrreich sie auch fuͤr den unbefangenen Denker seyn wuͤrden.
Nichts hat meine Phantasie mehr in Bewegung gesetzt, als die mannigfaltigen Hypothesen von der Beschaffenheit eines zukuͤnftigen Lebens. Jn mei-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/91>, abgerufen am 16.02.2025. |