Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Noch denke ich mit Schrecken an die Stunde, die ich einst mit einem solchen von Gelehrsamkeit strotzenden Weibe zubringen mußte. Sie rezensirte einen Pindarischen Hymnus, davon eine bekannte Uebersetzung erschienen war; sie sprach von dem Feuer des Poeten, von seiner Versart, von dem griechischen Heldengesange wie ein Professor der morgenländischen Literatur mit einer so abscheulichen Selbstgnügsamkeit, daß ich alle Geduld verlor, und endlich - fortlief, so willkommen mir ein Gespräch über den Pindar mit einem gescheiten Manne gewesen wäre. Jch habe schon verschiedene Widersprüche in meinem Character flüchtig berührt. So sehr es meinem Herzen schmeichelt, wenn ich von andern vorgezogen werde, so lieb ich die Menschen habe, die dieses thun; so unangenehm ist es mir, wenn man mich ins Gesicht lobt. Meine Verlegenheit dabei hat nicht selten seltsame Rollen gespielt, welche noch mehr dadurch veranlaßt wurden, daß ich nun auch dem andern etwas Schönes sagen wollte, welches mir erstaunlich schwer wird, wenn ich eine Mannsperson vor mir habe. Jch mag es unendlich lieber haben, wenn ich durch den dritten, vierten Mann ganz von ohngefähr erfahre, daß von mir
Noch denke ich mit Schrecken an die Stunde, die ich einst mit einem solchen von Gelehrsamkeit strotzenden Weibe zubringen mußte. Sie rezensirte einen Pindarischen Hymnus, davon eine bekannte Uebersetzung erschienen war; sie sprach von dem Feuer des Poeten, von seiner Versart, von dem griechischen Heldengesange wie ein Professor der morgenlaͤndischen Literatur mit einer so abscheulichen Selbstgnuͤgsamkeit, daß ich alle Geduld verlor, und endlich – fortlief, so willkommen mir ein Gespraͤch uͤber den Pindar mit einem gescheiten Manne gewesen waͤre. Jch habe schon verschiedene Widerspruͤche in meinem Character fluͤchtig beruͤhrt. So sehr es meinem Herzen schmeichelt, wenn ich von andern vorgezogen werde, so lieb ich die Menschen habe, die dieses thun; so unangenehm ist es mir, wenn man mich ins Gesicht lobt. Meine Verlegenheit dabei hat nicht selten seltsame Rollen gespielt, welche noch mehr dadurch veranlaßt wurden, daß ich nun auch dem andern etwas Schoͤnes sagen wollte, welches mir erstaunlich schwer wird, wenn ich eine Mannsperson vor mir habe. Jch mag es unendlich lieber haben, wenn ich durch den dritten, vierten Mann ganz von ohngefaͤhr erfahre, daß von mir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0084" n="82"/><lb/> Ewigkeit; ich fuͤhle mich dann oft geneigt uͤber eine solche Unnatuͤrliche laut zu spotten; aber mein Unwille fesselt meine Zunge, meine Begriffe verwirren sich, und ich muß mich entfernen.</p> <p>Noch denke ich mit Schrecken an die Stunde, die ich einst mit einem solchen von Gelehrsamkeit strotzenden Weibe zubringen mußte. Sie rezensirte einen Pindarischen Hymnus, davon eine bekannte Uebersetzung erschienen war; sie sprach von dem Feuer des Poeten, von seiner <choice><corr>Versart</corr><sic>Vers art</sic></choice>, von dem <choice><corr>griechischen</corr><sic>grigischen</sic></choice> Heldengesange wie ein Professor der morgenlaͤndischen Literatur mit einer so abscheulichen Selbstgnuͤgsamkeit, daß ich alle Geduld verlor, und endlich – fortlief, so willkommen mir ein Gespraͤch uͤber den Pindar mit einem gescheiten Manne gewesen waͤre.</p> <p>Jch habe schon verschiedene Widerspruͤche in meinem Character fluͤchtig beruͤhrt. So sehr es meinem Herzen schmeichelt, wenn ich von andern vorgezogen werde, so lieb ich die Menschen habe, die dieses thun; so unangenehm ist es mir, wenn man mich ins Gesicht lobt. Meine Verlegenheit dabei hat nicht selten seltsame Rollen gespielt, welche noch mehr dadurch veranlaßt wurden, daß ich nun auch dem andern etwas Schoͤnes sagen <hi rendition="#b">wollte,</hi> welches mir erstaunlich schwer wird, wenn ich eine <hi rendition="#b">Mannsperson</hi> vor mir habe. Jch mag es unendlich lieber haben, wenn ich durch den dritten, vierten Mann ganz von ohngefaͤhr erfahre, daß von mir<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [82/0084]
Ewigkeit; ich fuͤhle mich dann oft geneigt uͤber eine solche Unnatuͤrliche laut zu spotten; aber mein Unwille fesselt meine Zunge, meine Begriffe verwirren sich, und ich muß mich entfernen.
Noch denke ich mit Schrecken an die Stunde, die ich einst mit einem solchen von Gelehrsamkeit strotzenden Weibe zubringen mußte. Sie rezensirte einen Pindarischen Hymnus, davon eine bekannte Uebersetzung erschienen war; sie sprach von dem Feuer des Poeten, von seiner Versart, von dem griechischen Heldengesange wie ein Professor der morgenlaͤndischen Literatur mit einer so abscheulichen Selbstgnuͤgsamkeit, daß ich alle Geduld verlor, und endlich – fortlief, so willkommen mir ein Gespraͤch uͤber den Pindar mit einem gescheiten Manne gewesen waͤre.
Jch habe schon verschiedene Widerspruͤche in meinem Character fluͤchtig beruͤhrt. So sehr es meinem Herzen schmeichelt, wenn ich von andern vorgezogen werde, so lieb ich die Menschen habe, die dieses thun; so unangenehm ist es mir, wenn man mich ins Gesicht lobt. Meine Verlegenheit dabei hat nicht selten seltsame Rollen gespielt, welche noch mehr dadurch veranlaßt wurden, daß ich nun auch dem andern etwas Schoͤnes sagen wollte, welches mir erstaunlich schwer wird, wenn ich eine Mannsperson vor mir habe. Jch mag es unendlich lieber haben, wenn ich durch den dritten, vierten Mann ganz von ohngefaͤhr erfahre, daß von mir
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/84>, abgerufen am 17.07.2024. |