Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


lehrt die tägliche Erfahrung. Aber wie ist dieses Phänomen zu erklären, da wir sonst natürlicherweise nichts wollen, als was uns Vergnügen macht? - sollte es nach Home würklich Triebe zu Handlungen in uns geben, die vom Vergnügen oder Mißvergnügen gänzlich unanbhängig sind? - Jch glaube nicht. Unsere Seele befindet sich, wenn sie einen Gefallen an ihrem eigenen Leiden findet, in dem Zustande gemischter Empfindungen. Es schmeichelt ihrer Eitelkeit, ihren Begriffen, die sie von Duldung, und vornehmlich von der Wichtigkeit des Gegenstandes hat, um dessentwillen sie leidet; auch das dunkle Gefühl, wie wohl ihr seyn wird, wenn ihre Leiden sich endigen werden, Zurückerinnerung, wie wohl ihr dabei schon mehrmahls zu Muthe gewesen ist, kann es verursachen, daß sie den Kummer haben will. Man setze: in diesem gemischten Empfindungszustande wären die angenehmen mit dem würklichen Schmerzensgefühl verbundenen Vorstellungen a + b + c + d. u.s.w., und diese würkten mit einer Lebhaftigkeit = A auf die Seele; die unangenehmen Jdeen wären aber entweder kleiner als a + b + c + d, oder ihre Lebhaftigkeit und Stärke = B wäre kleiner als A, so wird zwar die Seele immer noch ein starkes


lehrt die taͤgliche Erfahrung. Aber wie ist dieses Phaͤnomen zu erklaͤren, da wir sonst natuͤrlicherweise nichts wollen, als was uns Vergnuͤgen macht? – sollte es nach Home wuͤrklich Triebe zu Handlungen in uns geben, die vom Vergnuͤgen oder Mißvergnuͤgen gaͤnzlich unanbhaͤngig sind? – Jch glaube nicht. Unsere Seele befindet sich, wenn sie einen Gefallen an ihrem eigenen Leiden findet, in dem Zustande gemischter Empfindungen. Es schmeichelt ihrer Eitelkeit, ihren Begriffen, die sie von Duldung, und vornehmlich von der Wichtigkeit des Gegenstandes hat, um dessentwillen sie leidet; auch das dunkle Gefuͤhl, wie wohl ihr seyn wird, wenn ihre Leiden sich endigen werden, Zuruͤckerinnerung, wie wohl ihr dabei schon mehrmahls zu Muthe gewesen ist, kann es verursachen, daß sie den Kummer haben will. Man setze: in diesem gemischten Empfindungszustande waͤren die angenehmen mit dem wuͤrklichen Schmerzensgefuͤhl verbundenen Vorstellungen a + b + c + d. u.s.w., und diese wuͤrkten mit einer Lebhaftigkeit = A auf die Seele; die unangenehmen Jdeen waͤren aber entweder kleiner als a + b + c + d, oder ihre Lebhaftigkeit und Staͤrke = B waͤre kleiner als A, so wird zwar die Seele immer noch ein starkes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0076" n="74"/><lb/>
lehrt die ta&#x0364;gliche Erfahrung. Aber <hi rendition="#b">wie</hi> ist                   dieses Pha&#x0364;nomen zu erkla&#x0364;ren, da wir sonst natu&#x0364;rlicherweise nichts wollen, als was                   uns Vergnu&#x0364;gen macht? &#x2013; sollte es nach <choice><corr>Home</corr><sic>Homer [lt. Druckfehlerverz. MzE 5.3]</sic></choice> wu&#x0364;rklich Triebe                   zu Handlungen in uns geben, die vom Vergnu&#x0364;gen oder Mißvergnu&#x0364;gen ga&#x0364;nzlich <hi rendition="#b">unanbha&#x0364;ngig sind?</hi> &#x2013; Jch glaube nicht. Unsere Seele befindet                   sich, wenn sie einen Gefallen an ihrem eigenen Leiden findet, in dem Zustande <hi rendition="#b">gemischter Empfindungen.</hi> Es schmeichelt ihrer                   Eitelkeit, ihren Begriffen, die sie von Duldung, und vornehmlich von der                   Wichtigkeit des Gegenstandes hat, um dessentwillen sie leidet; auch das <hi rendition="#b">dunkle</hi> Gefu&#x0364;hl, wie wohl ihr seyn wird, wenn ihre Leiden sich                   endigen werden, <hi rendition="#b">Zuru&#x0364;ckerinnerung,</hi> wie wohl ihr dabei                   schon mehrmahls zu Muthe gewesen ist, kann es verursachen, daß sie den Kummer <hi rendition="#b">haben will.</hi> Man setze: in diesem <choice><corr>gemischten</corr><sic>gewu&#x0364;nschten [lt. Druckfehlerverz. MzE                         5.3]</sic></choice> Empfindungszustande wa&#x0364;ren die angenehmen mit dem wu&#x0364;rklichen                   Schmerzensgefu&#x0364;hl verbundenen Vorstellungen <hi rendition="#aq">a + b + c +                      d.</hi> u.s.w., und diese wu&#x0364;rkten mit einer Lebhaftigkeit <hi rendition="#aq">= A</hi> auf die Seele; die unangenehmen Jdeen wa&#x0364;ren aber                   entweder kleiner als <hi rendition="#aq">a + b + c + d,</hi> oder ihre                   Lebhaftigkeit und Sta&#x0364;rke <hi rendition="#aq">= B</hi> wa&#x0364;re kleiner als <hi rendition="#aq">A,</hi> so wird zwar die Seele immer noch ein starkes<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0076] lehrt die taͤgliche Erfahrung. Aber wie ist dieses Phaͤnomen zu erklaͤren, da wir sonst natuͤrlicherweise nichts wollen, als was uns Vergnuͤgen macht? – sollte es nach Home wuͤrklich Triebe zu Handlungen in uns geben, die vom Vergnuͤgen oder Mißvergnuͤgen gaͤnzlich unanbhaͤngig sind? – Jch glaube nicht. Unsere Seele befindet sich, wenn sie einen Gefallen an ihrem eigenen Leiden findet, in dem Zustande gemischter Empfindungen. Es schmeichelt ihrer Eitelkeit, ihren Begriffen, die sie von Duldung, und vornehmlich von der Wichtigkeit des Gegenstandes hat, um dessentwillen sie leidet; auch das dunkle Gefuͤhl, wie wohl ihr seyn wird, wenn ihre Leiden sich endigen werden, Zuruͤckerinnerung, wie wohl ihr dabei schon mehrmahls zu Muthe gewesen ist, kann es verursachen, daß sie den Kummer haben will. Man setze: in diesem gemischten Empfindungszustande waͤren die angenehmen mit dem wuͤrklichen Schmerzensgefuͤhl verbundenen Vorstellungen a + b + c + d. u.s.w., und diese wuͤrkten mit einer Lebhaftigkeit = A auf die Seele; die unangenehmen Jdeen waͤren aber entweder kleiner als a + b + c + d, oder ihre Lebhaftigkeit und Staͤrke = B waͤre kleiner als A, so wird zwar die Seele immer noch ein starkes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/76
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/76>, abgerufen am 22.11.2024.