Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.Es sind mir mehr dergleichen Beispiele bekannt. Jch kenne Frauenzimmer, die Männer gar nicht ausstehen konnten, welchen sie hernach auf einmahl aus wahrer Liebe ihr Herz schenkten. Vornehmlich hab ich das bemerkt, daß weibliche Herzen aus einer kalten Gleichgültigkeit auf einmahl in heiße Liebe übergehen können, wenn ihnen ein Heurathsantrag geschieht. Dieser schnelle unerklärbare Uebergang ihrer Empfindungen macht sie oft alsdann gegen die sichtbarsten Mängel ihrer Liebhaber - blind, für die sie vorher Argus-Augen hatten. 3. Ein sonderbarer Traum. ![]() Folgenden Traum hat der den 26ten April 1785. verstorbene Siegmund, Freiherr von *) Starb als Königl. Preuss. Gesandter an den fürstlichen Höfen des Fränkischen Kreises zu Anspach, und war 1744. zu Erlangen geboren. Viele Liedercompositionen und Gedichte von ihm stehen im deutschen Merkur. S. seine übrigen Schriften in Meusels gel. Deutschland.
Es sind mir mehr dergleichen Beispiele bekannt. Jch kenne Frauenzimmer, die Maͤnner gar nicht ausstehen konnten, welchen sie hernach auf einmahl aus wahrer Liebe ihr Herz schenkten. Vornehmlich hab ich das bemerkt, daß weibliche Herzen aus einer kalten Gleichguͤltigkeit auf einmahl in heiße Liebe uͤbergehen koͤnnen, wenn ihnen ein Heurathsantrag geschieht. Dieser schnelle unerklaͤrbare Uebergang ihrer Empfindungen macht sie oft alsdann gegen die sichtbarsten Maͤngel ihrer Liebhaber – blind, fuͤr die sie vorher Argus-Augen hatten. 3. Ein sonderbarer Traum. ![]() Folgenden Traum hat der den 26ten April 1785. verstorbene Siegmund, Freiherr von *) Starb als Koͤnigl. Preuss. Gesandter an den fuͤrstlichen Hoͤfen des Fraͤnkischen Kreises zu Anspach, und war 1744. zu Erlangen geboren. Viele Liedercompositionen und Gedichte von ihm stehen im deutschen Merkur. S. seine uͤbrigen Schriften in Meusels gel. Deutschland.
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Es sind mir mehr dergleichen Beispiele bekannt. Jch kenne Frauenzimmer, die Maͤnner gar nicht ausstehen konnten, welchen sie hernach auf einmahl aus wahrer Liebe ihr Herz schenkten. Vornehmlich hab ich das bemerkt, daß weibliche Herzen aus einer kalten Gleichguͤltigkeit auf einmahl in heiße Liebe uͤbergehen koͤnnen, wenn ihnen ein Heurathsantrag geschieht. Dieser schnelle unerklaͤrbare Uebergang ihrer Empfindungen macht sie oft alsdann gegen die sichtbarsten Maͤngel ihrer Liebhaber – blind, fuͤr die sie vorher Argus-Augen hatten.
3. Ein sonderbarer Traum.
Folgenden Traum hat der den 26ten April 1785. verstorbene Siegmund, Freiherr von Seckendorff,*) welchen er ein halb Jahr vor seiner Krankheit und seinem Tode hatte, von sich selbst mehrmahls erzaͤhlt, und schriftlich aufgezeichnet.
*) Starb als Koͤnigl. Preuss. Gesandter an den fuͤrstlichen Hoͤfen des Fraͤnkischen Kreises zu Anspach, und war 1744. zu Erlangen geboren. Viele Liedercompositionen und Gedichte von ihm stehen im deutschen Merkur. S. seine uͤbrigen Schriften in Meusels gel. Deutschland.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/57>, abgerufen am 16.02.2025. |