Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Wir haben nehmlich oft bemerkt -; oder welches hier einerlei ist, uns zu bemerken eingebildet, daß ein häßliches Gesicht mit einem häßlichen Character verbunden war; bemerkt, daß oft die regelmäßigsten Gesichter durch Laster und Leidenschaften bis zur Scheuslichkeit entstellt wurden, - nun sehen wir ein anderes häßliches Gesicht, das eine vielleicht auch nur entfernte Aehnlichkeit mit der Physiognomie jener schlechten Menschen hat, und gleich machen wir den übereilten Schluß, dergleichen unsere Phantasie unzählige macht, daß auch dieses Gesicht mit einem verachtungswürdigen Charakter
Wir haben nehmlich oft bemerkt –; oder welches hier einerlei ist, uns zu bemerken eingebildet, daß ein haͤßliches Gesicht mit einem haͤßlichen Character verbunden war; bemerkt, daß oft die regelmaͤßigsten Gesichter durch Laster und Leidenschaften bis zur Scheuslichkeit entstellt wurden, – nun sehen wir ein anderes haͤßliches Gesicht, das eine vielleicht auch nur entfernte Aehnlichkeit mit der Physiognomie jener schlechten Menschen hat, und gleich machen wir den uͤbereilten Schluß, dergleichen unsere Phantasie unzaͤhlige macht, daß auch dieses Gesicht mit einem verachtungswuͤrdigen Charakter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0053" n="51"/><lb/> nur unserm Auge, indem die Natur mit eigener Selbstzufriedenheit daran gearbeitet zu haben scheint; sondern erregt auch oft in unserm Herzen die suͤßesten Empfindungen der Liebe, die nicht selten alsdenn noch in uns fortdauren, wenn wir uͤber den moralischen Character eines Frauenzimmers wichtige Zweifel bekommen haben. – Haͤßlichkeit hingegen stoͤßt unser Herz von sich zuruͤck, oder wir bleiben wenigstens beim ersten Anblick kalt dabei; allein so wie nicht immer Schoͤnheit auf unser Herz auch bei der richtigsten Proportion ihrer Theile wuͤrkt; so glaub ich auch, daß nicht blos das unrichtige von der Natur verfehlte Verhaͤltniß eines Gesichts uns eine Antipathie gegen den Gegenstand selbst einfloͤßt, sondern daß unsere Seele gemeiniglich durch eine <hi rendition="#b">dunkle Schlußfolge</hi> gegen einen haͤßlichen Menschen eingenommen wird.</p> <p>Wir haben nehmlich oft bemerkt –; oder welches hier einerlei ist, uns zu bemerken eingebildet, daß ein haͤßliches Gesicht mit einem haͤßlichen Character verbunden war; bemerkt, daß oft die regelmaͤßigsten Gesichter durch Laster und Leidenschaften bis zur Scheuslichkeit entstellt wurden, – nun sehen wir ein anderes haͤßliches Gesicht, das eine vielleicht auch nur entfernte Aehnlichkeit mit der Physiognomie jener schlechten Menschen hat, und gleich machen wir den uͤbereilten Schluß, dergleichen unsere Phantasie unzaͤhlige macht, daß auch dieses Gesicht mit einem verachtungswuͤrdigen Charakter<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0053]
nur unserm Auge, indem die Natur mit eigener Selbstzufriedenheit daran gearbeitet zu haben scheint; sondern erregt auch oft in unserm Herzen die suͤßesten Empfindungen der Liebe, die nicht selten alsdenn noch in uns fortdauren, wenn wir uͤber den moralischen Character eines Frauenzimmers wichtige Zweifel bekommen haben. – Haͤßlichkeit hingegen stoͤßt unser Herz von sich zuruͤck, oder wir bleiben wenigstens beim ersten Anblick kalt dabei; allein so wie nicht immer Schoͤnheit auf unser Herz auch bei der richtigsten Proportion ihrer Theile wuͤrkt; so glaub ich auch, daß nicht blos das unrichtige von der Natur verfehlte Verhaͤltniß eines Gesichts uns eine Antipathie gegen den Gegenstand selbst einfloͤßt, sondern daß unsere Seele gemeiniglich durch eine dunkle Schlußfolge gegen einen haͤßlichen Menschen eingenommen wird.
Wir haben nehmlich oft bemerkt –; oder welches hier einerlei ist, uns zu bemerken eingebildet, daß ein haͤßliches Gesicht mit einem haͤßlichen Character verbunden war; bemerkt, daß oft die regelmaͤßigsten Gesichter durch Laster und Leidenschaften bis zur Scheuslichkeit entstellt wurden, – nun sehen wir ein anderes haͤßliches Gesicht, das eine vielleicht auch nur entfernte Aehnlichkeit mit der Physiognomie jener schlechten Menschen hat, und gleich machen wir den uͤbereilten Schluß, dergleichen unsere Phantasie unzaͤhlige macht, daß auch dieses Gesicht mit einem verachtungswuͤrdigen Charakter
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/53>, abgerufen am 16.02.2025. |