Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Diese Gesichtszüge zusammengenommen, welche einzeln keinen Eindruck auf uns machen würden, bringen nun in uns jene unwillkürliche Abneigung gegen den Satyriker hervor, die selbst bei dem größten Wohlgefallen an seinen Einfällen fortzudauern pflegt. Es ist gar kein Beweis, daß wir uns dem Herzen des Satyrikers nähern, wenn wir über seinen Witz lachen und ihm lauten Beifall zuklatschen. Heimlich empören sich unsere Gefühle gegen ihn, und wir fühlen uns in Absicht seines Characters gemeiniglich um so viel mistrauischer, je treffender und beissender seine Gedanken sind. Wir glauben nicht, daß ein solcher Mann unser vertrauter Freund seyn könne, und wir fühlen es gleichsam im Voraus, daß wir in einer nähern Verbindung mit ihm oft seine giftige Zunge erfahren, und *) Wir haben kein Wort im Deutschen, welches das französische malicieux, das ich hier eigentlich meine, genau ausdrückt.
Diese Gesichtszuͤge zusammengenommen, welche einzeln keinen Eindruck auf uns machen wuͤrden, bringen nun in uns jene unwillkuͤrliche Abneigung gegen den Satyriker hervor, die selbst bei dem groͤßten Wohlgefallen an seinen Einfaͤllen fortzudauern pflegt. Es ist gar kein Beweis, daß wir uns dem Herzen des Satyrikers naͤhern, wenn wir uͤber seinen Witz lachen und ihm lauten Beifall zuklatschen. Heimlich empoͤren sich unsere Gefuͤhle gegen ihn, und wir fuͤhlen uns in Absicht seines Characters gemeiniglich um so viel mistrauischer, je treffender und beissender seine Gedanken sind. Wir glauben nicht, daß ein solcher Mann unser vertrauter Freund seyn koͤnne, und wir fuͤhlen es gleichsam im Voraus, daß wir in einer naͤhern Verbindung mit ihm oft seine giftige Zunge erfahren, und *) Wir haben kein Wort im Deutschen, welches das franzoͤsische malicieux, das ich hier eigentlich meine, genau ausdruͤckt.
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sich unschuldigen Freude uͤber das Auffallende, Laͤcherliche und Kontrastirende eines Satzes und 2) jenes versteckten boshaften*) Vergnuͤgens, etwas Bitteres und Beissendes gesagt zu haben. Sonst rechnet man noch zur Physiognomie des Satyrikers ein hervorgebogenes spitzes Kinn, eine in die Hoͤhe geworfene, oder auch zugespizte Nase, und ein hinter den Augenliedern lauschendes Auge.
Diese Gesichtszuͤge zusammengenommen, welche einzeln keinen Eindruck auf uns machen wuͤrden, bringen nun in uns jene unwillkuͤrliche Abneigung gegen den Satyriker hervor, die selbst bei dem groͤßten Wohlgefallen an seinen Einfaͤllen fortzudauern pflegt. Es ist gar kein Beweis, daß wir uns dem Herzen des Satyrikers naͤhern, wenn wir uͤber seinen Witz lachen und ihm lauten Beifall zuklatschen. Heimlich empoͤren sich unsere Gefuͤhle gegen ihn, und wir fuͤhlen uns in Absicht seines Characters gemeiniglich um so viel mistrauischer, je treffender und beissender seine Gedanken sind. Wir glauben nicht, daß ein solcher Mann unser vertrauter Freund seyn koͤnne, und wir fuͤhlen es gleichsam im Voraus, daß wir in einer naͤhern Verbindung mit ihm oft seine giftige Zunge erfahren, und
*) Wir haben kein Wort im Deutschen, welches das franzoͤsische malicieux, das ich hier eigentlich meine, genau ausdruͤckt.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/47>, abgerufen am 21.07.2024. |