Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Wenn es wahr ist, daß viele häßliche Leute würklich in Absicht ihres Characters nicht viel taugen sollen; so liegt der Grund davon gewiß mit in der Behandlungsart, wie sie erzogen wurden, in der Verachtung die ihre Eltern gegen sie blicken ließen, in den stummen und lauten Vorwürfen, die man ihnen in Absicht ihrer Gestalt oft auf die unvernünftigste Art zu machen pflegt, und überhaupt in der Vernachlässigung ihrer Ausbildung, deren so viele Eltern, wie ich aus mehrern Erfahrungen weiß, ihre häßlichen Kinder für unfähig, und was noch abscheulicher ist, - für unwürdig halten. Die Verschiedenheit des Alters hat ferner einen großen Einfluß auf die Antipathie gegen gewisse Menschen. Jch habe bemerkt, daß Kinder, sonderlich wenn sie kränklich sind, gemeiniglich mehr von den Empfindungen der Antipathie als ältere Leute beherrscht werden, und ich kenne einige Kna-
Wenn es wahr ist, daß viele haͤßliche Leute wuͤrklich in Absicht ihres Characters nicht viel taugen sollen; so liegt der Grund davon gewiß mit in der Behandlungsart, wie sie erzogen wurden, in der Verachtung die ihre Eltern gegen sie blicken ließen, in den stummen und lauten Vorwuͤrfen, die man ihnen in Absicht ihrer Gestalt oft auf die unvernuͤnftigste Art zu machen pflegt, und uͤberhaupt in der Vernachlaͤssigung ihrer Ausbildung, deren so viele Eltern, wie ich aus mehrern Erfahrungen weiß, ihre haͤßlichen Kinder fuͤr unfaͤhig, und was noch abscheulicher ist, – fuͤr unwuͤrdig halten. Die Verschiedenheit des Alters hat ferner einen großen Einfluß auf die Antipathie gegen gewisse Menschen. Jch habe bemerkt, daß Kinder, sonderlich wenn sie kraͤnklich sind, gemeiniglich mehr von den Empfindungen der Antipathie als aͤltere Leute beherrscht werden, und ich kenne einige Kna- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0044" n="42"/><lb/> gethan haͤtte; ja man fuͤhlt sich nicht selten geneigt, den zu beleidigen dessen Gesicht auf uns in einer uͤbeln Laune einen widerlichen Eindruck hervorbringt. – Wie viele Ungerechtigkeiten werden in dieser Absicht von Eltern und Erziehern gegen diejenigen ihrer Zoͤglinge begangen, welche sich ihnen nicht durch eine gefaͤllige Physiognomie empfehlen! Sie werden gemeiniglich zuruͤckgesetzt und oft bei den kleinsten Fehlern bestraft, indessen ihre wohlgebildeten Geschwister die zuvorkommensten Liebkosungen genießen.</p> <p>Wenn es wahr ist, daß viele haͤßliche Leute wuͤrklich in Absicht ihres Characters nicht viel taugen sollen; so liegt der Grund davon gewiß mit in der Behandlungsart, wie sie erzogen wurden, in der Verachtung die ihre Eltern gegen sie blicken ließen, in den stummen und lauten Vorwuͤrfen, die man ihnen in Absicht ihrer Gestalt oft auf die unvernuͤnftigste Art zu machen pflegt, und uͤberhaupt in der Vernachlaͤssigung ihrer Ausbildung, deren so viele Eltern, wie ich aus mehrern Erfahrungen weiß, ihre haͤßlichen Kinder fuͤr unfaͤhig, und was noch abscheulicher ist, – fuͤr unwuͤrdig halten.</p> <p>Die Verschiedenheit des Alters hat ferner einen großen Einfluß auf die Antipathie gegen gewisse Menschen. Jch habe bemerkt, daß Kinder, sonderlich wenn sie kraͤnklich sind, gemeiniglich mehr von den Empfindungen der Antipathie als aͤltere <choice><corr>Leute</corr><sic>Lrute</sic></choice> beherrscht werden, und ich kenne einige Kna-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0044]
gethan haͤtte; ja man fuͤhlt sich nicht selten geneigt, den zu beleidigen dessen Gesicht auf uns in einer uͤbeln Laune einen widerlichen Eindruck hervorbringt. – Wie viele Ungerechtigkeiten werden in dieser Absicht von Eltern und Erziehern gegen diejenigen ihrer Zoͤglinge begangen, welche sich ihnen nicht durch eine gefaͤllige Physiognomie empfehlen! Sie werden gemeiniglich zuruͤckgesetzt und oft bei den kleinsten Fehlern bestraft, indessen ihre wohlgebildeten Geschwister die zuvorkommensten Liebkosungen genießen.
Wenn es wahr ist, daß viele haͤßliche Leute wuͤrklich in Absicht ihres Characters nicht viel taugen sollen; so liegt der Grund davon gewiß mit in der Behandlungsart, wie sie erzogen wurden, in der Verachtung die ihre Eltern gegen sie blicken ließen, in den stummen und lauten Vorwuͤrfen, die man ihnen in Absicht ihrer Gestalt oft auf die unvernuͤnftigste Art zu machen pflegt, und uͤberhaupt in der Vernachlaͤssigung ihrer Ausbildung, deren so viele Eltern, wie ich aus mehrern Erfahrungen weiß, ihre haͤßlichen Kinder fuͤr unfaͤhig, und was noch abscheulicher ist, – fuͤr unwuͤrdig halten.
Die Verschiedenheit des Alters hat ferner einen großen Einfluß auf die Antipathie gegen gewisse Menschen. Jch habe bemerkt, daß Kinder, sonderlich wenn sie kraͤnklich sind, gemeiniglich mehr von den Empfindungen der Antipathie als aͤltere Leute beherrscht werden, und ich kenne einige Kna-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/44>, abgerufen am 16.07.2024. |