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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

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neigungen in ihrer ganzen abscheulichen Gestalt vorzustellen. Der unglückliche Mensch fühlt sich auf einmahl gerührt, gestand es seinem Beichtvater selbst ein, daß er sich durch seine Fehler bei allen Menschen verächtlich mache, und versprach mit reuigen Thränen in den Augen, sich gewiß zu bessern; - aber, kaum sollte man es glauben, wenn es mir nicht auf die glaubwürdigste Art erzählt worden wäre, - in dem nehmlichen Augenblick entdeckte der Prediger die Hand des beichtenden Sünders in der Zuckerdose seines Wirths, die er während daß der Prediger mit ihm sprach, heimlich plündern wollte.

Oft treibt der Geitz den armen Menschen so weit, daß er keine Lebensgefahr, keine Beschimpfung achtet, wenn er dadurch nur einige Pfennige gewinnen oder ersparen kann. Er hat einigemahl bei ungestümen Wetter vor den Thoren der Stadt auf platter Erde Nächte hindurch zugebracht, weil er das geringe Thorgeld nicht bezahlen wollte, welches die zu spät Ankommenden, um eingelassen zu werden, erlegen müssen. Oft hat er für seine Diebereien Prügel bekommen, und er ist sonst überhaupt sehr strenge wegen derselben behandelt worden; allein alles dieß hat seinen Hang zum Stehlen nur gleichsam vermehrt. Fast täglich stiehlt er seinen Pflegeltern noch Kleinigkeiten, als Messer, Gabeln, Bouteillen u.s.w. weg, und trägt sie, wenn er entwischen kann, oft des Abends unter seinem


neigungen in ihrer ganzen abscheulichen Gestalt vorzustellen. Der ungluͤckliche Mensch fuͤhlt sich auf einmahl geruͤhrt, gestand es seinem Beichtvater selbst ein, daß er sich durch seine Fehler bei allen Menschen veraͤchtlich mache, und versprach mit reuigen Thraͤnen in den Augen, sich gewiß zu bessern; – aber, kaum sollte man es glauben, wenn es mir nicht auf die glaubwuͤrdigste Art erzaͤhlt worden waͤre, – in dem nehmlichen Augenblick entdeckte der Prediger die Hand des beichtenden Suͤnders in der Zuckerdose seines Wirths, die er waͤhrend daß der Prediger mit ihm sprach, heimlich pluͤndern wollte.

Oft treibt der Geitz den armen Menschen so weit, daß er keine Lebensgefahr, keine Beschimpfung achtet, wenn er dadurch nur einige Pfennige gewinnen oder ersparen kann. Er hat einigemahl bei ungestuͤmen Wetter vor den Thoren der Stadt auf platter Erde Naͤchte hindurch zugebracht, weil er das geringe Thorgeld nicht bezahlen wollte, welches die zu spaͤt Ankommenden, um eingelassen zu werden, erlegen muͤssen. Oft hat er fuͤr seine Diebereien Pruͤgel bekommen, und er ist sonst uͤberhaupt sehr strenge wegen derselben behandelt worden; allein alles dieß hat seinen Hang zum Stehlen nur gleichsam vermehrt. Fast taͤglich stiehlt er seinen Pflegeltern noch Kleinigkeiten, als Messer, Gabeln, Bouteillen u.s.w. weg, und traͤgt sie, wenn er entwischen kann, oft des Abends unter seinem

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[28/0030] neigungen in ihrer ganzen abscheulichen Gestalt vorzustellen. Der ungluͤckliche Mensch fuͤhlt sich auf einmahl geruͤhrt, gestand es seinem Beichtvater selbst ein, daß er sich durch seine Fehler bei allen Menschen veraͤchtlich mache, und versprach mit reuigen Thraͤnen in den Augen, sich gewiß zu bessern; – aber, kaum sollte man es glauben, wenn es mir nicht auf die glaubwuͤrdigste Art erzaͤhlt worden waͤre, – in dem nehmlichen Augenblick entdeckte der Prediger die Hand des beichtenden Suͤnders in der Zuckerdose seines Wirths, die er waͤhrend daß der Prediger mit ihm sprach, heimlich pluͤndern wollte. Oft treibt der Geitz den armen Menschen so weit, daß er keine Lebensgefahr, keine Beschimpfung achtet, wenn er dadurch nur einige Pfennige gewinnen oder ersparen kann. Er hat einigemahl bei ungestuͤmen Wetter vor den Thoren der Stadt auf platter Erde Naͤchte hindurch zugebracht, weil er das geringe Thorgeld nicht bezahlen wollte, welches die zu spaͤt Ankommenden, um eingelassen zu werden, erlegen muͤssen. Oft hat er fuͤr seine Diebereien Pruͤgel bekommen, und er ist sonst uͤberhaupt sehr strenge wegen derselben behandelt worden; allein alles dieß hat seinen Hang zum Stehlen nur gleichsam vermehrt. Fast taͤglich stiehlt er seinen Pflegeltern noch Kleinigkeiten, als Messer, Gabeln, Bouteillen u.s.w. weg, und traͤgt sie, wenn er entwischen kann, oft des Abends unter seinem

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/30>, abgerufen am 24.11.2024.