Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
Auf seinem Zimmer hat er eine große Sammlung von Kieselsteinen groß und klein. Diese zu berichtigen ist er unermüdet. Haben sie ihre Kraft verloren, dann wirft er sie weg und sucht andere. Er hat eine große Menge in Gestalt eines Menschenskelets gelegt, wovon ein jeder einen der innern oder äußern Theile des Menschen bedeutet. Mit Hülfe dieser (wenn er sie nehmlich alle komplet hat, welches inzwischen selten ist) kann er alle Krankheiten seiner Meinung nach kuriren. Kömmt einer zu ihm, und klagt: er habe die Schwindsucht und werde wohl seinem Grabe zu gehn müssen; so steht er ruhig auf, Hm! sagt er, die Krankheit sitzt in der Lunge, da wollen wir bald zukommen. Jch brauche nur diesen Stein hier umzudrehen, der bedeutet die Lunge. Nun können sie getrost nach Hause gehen. Jhre Krankheit wird sich gewiß geben. Hat er aber zum Unglück den Stein nicht, welcher den Theil, in dem der Sitz der Krankheit ist, bezeichnet, so sagt er es freimüthig, und entschuldigt sich, daß er nun nicht seinen Wunsch befriedigen könne. Es läßt sich hierbei gar nicht gedenken, daß dieß eine eigennützige Betrügerei sei, denn er läßt sich auf keine Weise für seine Kuren bezahlen. Auch giebt er allenthalben die untrüg-
Auf seinem Zimmer hat er eine große Sammlung von Kieselsteinen groß und klein. Diese zu berichtigen ist er unermuͤdet. Haben sie ihre Kraft verloren, dann wirft er sie weg und sucht andere. Er hat eine große Menge in Gestalt eines Menschenskelets gelegt, wovon ein jeder einen der innern oder aͤußern Theile des Menschen bedeutet. Mit Huͤlfe dieser (wenn er sie nehmlich alle komplet hat, welches inzwischen selten ist) kann er alle Krankheiten seiner Meinung nach kuriren. Koͤmmt einer zu ihm, und klagt: er habe die Schwindsucht und werde wohl seinem Grabe zu gehn muͤssen; so steht er ruhig auf, Hm! sagt er, die Krankheit sitzt in der Lunge, da wollen wir bald zukommen. Jch brauche nur diesen Stein hier umzudrehen, der bedeutet die Lunge. Nun koͤnnen sie getrost nach Hause gehen. Jhre Krankheit wird sich gewiß geben. Hat er aber zum Ungluͤck den Stein nicht, welcher den Theil, in dem der Sitz der Krankheit ist, bezeichnet, so sagt er es freimuͤthig, und entschuldigt sich, daß er nun nicht seinen Wunsch befriedigen koͤnne. Es laͤßt sich hierbei gar nicht gedenken, daß dieß eine eigennuͤtzige Betruͤgerei sei, denn er laͤßt sich auf keine Weise fuͤr seine Kuren bezahlen. Auch giebt er allenthalben die untruͤg- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0019" n="19"/><lb/> Wonach sehen Sie hier, Herr Lauterbach? »Uebel! sehr uͤbel! wir werden bald theure <choice><corr>Kornpreise</corr><sic>Kompies</sic></choice> haben. Sehen Sie nur hier diesen Stein. Es ist unvermeidlich!« — </p> <p>Auf seinem Zimmer hat er eine große Sammlung von Kieselsteinen groß und klein. Diese zu berichtigen ist er unermuͤdet. Haben sie ihre Kraft verloren, dann wirft er sie weg und sucht andere. Er hat eine große Menge in Gestalt eines Menschenskelets gelegt, wovon ein jeder einen der innern oder aͤußern Theile des Menschen bedeutet. Mit Huͤlfe dieser (wenn er sie nehmlich alle komplet hat, welches inzwischen selten ist) kann er alle Krankheiten seiner Meinung nach kuriren. Koͤmmt einer zu ihm, und klagt: er habe die Schwindsucht und werde wohl seinem Grabe zu gehn muͤssen; so steht er ruhig auf, Hm! sagt er, die Krankheit sitzt in der Lunge, da wollen wir bald zukommen. Jch brauche nur diesen Stein hier umzudrehen, der bedeutet die Lunge. Nun koͤnnen sie getrost nach Hause gehen. Jhre Krankheit wird sich gewiß geben. Hat er aber zum Ungluͤck den Stein nicht, welcher den Theil, in dem der Sitz der Krankheit ist, bezeichnet, so sagt er es freimuͤthig, und entschuldigt sich, daß er nun nicht seinen Wunsch befriedigen koͤnne. Es laͤßt sich hierbei gar nicht gedenken, daß dieß eine eigennuͤtzige Betruͤgerei sei, denn er laͤßt sich auf keine Weise fuͤr seine Kuren bezahlen. Auch giebt er allenthalben die untruͤg-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [19/0019]
Wonach sehen Sie hier, Herr Lauterbach? »Uebel! sehr uͤbel! wir werden bald theure Kornpreise haben. Sehen Sie nur hier diesen Stein. Es ist unvermeidlich!« —
Auf seinem Zimmer hat er eine große Sammlung von Kieselsteinen groß und klein. Diese zu berichtigen ist er unermuͤdet. Haben sie ihre Kraft verloren, dann wirft er sie weg und sucht andere. Er hat eine große Menge in Gestalt eines Menschenskelets gelegt, wovon ein jeder einen der innern oder aͤußern Theile des Menschen bedeutet. Mit Huͤlfe dieser (wenn er sie nehmlich alle komplet hat, welches inzwischen selten ist) kann er alle Krankheiten seiner Meinung nach kuriren. Koͤmmt einer zu ihm, und klagt: er habe die Schwindsucht und werde wohl seinem Grabe zu gehn muͤssen; so steht er ruhig auf, Hm! sagt er, die Krankheit sitzt in der Lunge, da wollen wir bald zukommen. Jch brauche nur diesen Stein hier umzudrehen, der bedeutet die Lunge. Nun koͤnnen sie getrost nach Hause gehen. Jhre Krankheit wird sich gewiß geben. Hat er aber zum Ungluͤck den Stein nicht, welcher den Theil, in dem der Sitz der Krankheit ist, bezeichnet, so sagt er es freimuͤthig, und entschuldigt sich, daß er nun nicht seinen Wunsch befriedigen koͤnne. Es laͤßt sich hierbei gar nicht gedenken, daß dieß eine eigennuͤtzige Betruͤgerei sei, denn er laͤßt sich auf keine Weise fuͤr seine Kuren bezahlen. Auch giebt er allenthalben die untruͤg-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/19>, abgerufen am 16.02.2025. |