Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
war aber bezeichnet das noch nicht völlig vergangne, abgeschnittne, sondern sich an etwas folgendes anknüpfende Seyn -- wenn ich sage: es war Nacht, so erwartet jedermann noch etwas hierauf folgendes, oder sich an das Nachtseyn anschließendes -- das Nachtseyn dauerte noch fort, während daß etwas anders seinen Anfang nahm; das war knüpft und kettet das folgende unauflößlich an das vorhergehende, es bringt in die Erzählung Wahrheit, das ist nothwendige Verknüpfung, Verbindung des Geschehenen -- ich kann nicht an der Jstheit einer gegenwärtigen Sache, aber wohl an der Wahrheit einer vergangnen zweifeln. -- Das ist bei einer Sache erwecket bei mir einen anschaulichen Begriff, strengt meine Denkkraft nicht an -- aber das war bei einer Sache läßt mich forschen, in welchem Zusammenhange sie mit den übrigen Dingen steht. -- Um den Begriff von der Wahrheit zu erhalten, muß ich die Gegenwart halb in die Vergangenheit zurückschieben: ich muß ist in war verwandeln -- oder vielmehr ich muß mir beides, wo möglich, zusammendenken -- dieser Baum ist grün das ist wahr (war)
war aber bezeichnet das noch nicht voͤllig vergangne, abgeschnittne, sondern sich an etwas folgendes anknuͤpfende Seyn — wenn ich sage: es war Nacht, so erwartet jedermann noch etwas hierauf folgendes, oder sich an das Nachtseyn anschließendes — das Nachtseyn dauerte noch fort, waͤhrend daß etwas anders seinen Anfang nahm; das war knuͤpft und kettet das folgende unaufloͤßlich an das vorhergehende, es bringt in die Erzaͤhlung Wahrheit, das ist nothwendige Verknuͤpfung, Verbindung des Geschehenen — ich kann nicht an der Jstheit einer gegenwaͤrtigen Sache, aber wohl an der Wahrheit einer vergangnen zweifeln. — Das ist bei einer Sache erwecket bei mir einen anschaulichen Begriff, strengt meine Denkkraft nicht an — aber das war bei einer Sache laͤßt mich forschen, in welchem Zusammenhange sie mit den uͤbrigen Dingen steht. — Um den Begriff von der Wahrheit zu erhalten, muß ich die Gegenwart halb in die Vergangenheit zuruͤckschieben: ich muß ist in war verwandeln — oder vielmehr ich muß mir beides, wo moͤglich, zusammendenken — dieser Baum ist gruͤn das ist wahr (war) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0108" n="108"/><lb/> genstandes, und nicht nur sein gegenwaͤrtiges, sondern auch sein <hi rendition="#b">vergangnes</hi> Daseyn mit hineindenken muͤssen; </p> <p><hi rendition="#b">war</hi> aber bezeichnet das noch nicht voͤllig vergangne, abgeschnittne, sondern sich an etwas folgendes <hi rendition="#b">anknuͤpfende</hi> Seyn — wenn ich sage: <hi rendition="#b">es war Nacht,</hi> so erwartet jedermann noch etwas hierauf folgendes, oder sich an das Nachtseyn anschließendes — das Nachtseyn dauerte noch fort, <hi rendition="#b">waͤhrend</hi> daß etwas anders seinen Anfang nahm; das <hi rendition="#b">war</hi> knuͤpft und kettet das folgende unaufloͤßlich an das vorhergehende, es bringt in die Erzaͤhlung <hi rendition="#b">Wahrheit,</hi> das ist nothwendige Verknuͤpfung, Verbindung des Geschehenen — ich kann nicht an der <hi rendition="#b">Jstheit</hi> einer gegenwaͤrtigen Sache, aber wohl an der <hi rendition="#b">Wahrheit</hi> einer vergangnen zweifeln. — Das <hi rendition="#b">ist</hi> bei einer Sache erwecket bei mir einen anschaulichen Begriff, strengt meine Denkkraft nicht an — aber das <hi rendition="#b">war</hi> bei einer Sache laͤßt mich forschen, in welchem <hi rendition="#b">Zusammenhange</hi> sie mit den uͤbrigen Dingen steht. — Um den Begriff von der Wahrheit zu erhalten, muß ich die Gegenwart halb in die Vergangenheit zuruͤckschieben: ich muß <hi rendition="#b">ist</hi> in <hi rendition="#b">war</hi> verwandeln — oder vielmehr ich muß mir beides, wo moͤglich, zusammendenken — </p> <p>dieser Baum ist gruͤn</p> <p>das ist wahr (war) </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0108]
genstandes, und nicht nur sein gegenwaͤrtiges, sondern auch sein vergangnes Daseyn mit hineindenken muͤssen;
war aber bezeichnet das noch nicht voͤllig vergangne, abgeschnittne, sondern sich an etwas folgendes anknuͤpfende Seyn — wenn ich sage: es war Nacht, so erwartet jedermann noch etwas hierauf folgendes, oder sich an das Nachtseyn anschließendes — das Nachtseyn dauerte noch fort, waͤhrend daß etwas anders seinen Anfang nahm; das war knuͤpft und kettet das folgende unaufloͤßlich an das vorhergehende, es bringt in die Erzaͤhlung Wahrheit, das ist nothwendige Verknuͤpfung, Verbindung des Geschehenen — ich kann nicht an der Jstheit einer gegenwaͤrtigen Sache, aber wohl an der Wahrheit einer vergangnen zweifeln. — Das ist bei einer Sache erwecket bei mir einen anschaulichen Begriff, strengt meine Denkkraft nicht an — aber das war bei einer Sache laͤßt mich forschen, in welchem Zusammenhange sie mit den uͤbrigen Dingen steht. — Um den Begriff von der Wahrheit zu erhalten, muß ich die Gegenwart halb in die Vergangenheit zuruͤckschieben: ich muß ist in war verwandeln — oder vielmehr ich muß mir beides, wo moͤglich, zusammendenken —
dieser Baum ist gruͤn
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/108>, abgerufen am 21.07.2024. |