Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
Der Lehrer ermüdete endlich, mir länger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden; nun ists an dich. Und der Schüler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander, und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen können. -- Es erhellet, glaube ich, schon aus der einzigen Erzählung dieses Traums, daß ich von meiner frühesten Jugend an, einen Hang gehabt haben müsse, mich selbst zu beobachten, weil ich beim Erwachen über diesen dem Anschein nach simpeln, und doch in der That fast unerklärbaren Traum, so frappirt war, daß er mir nachher immer lebhaft im Gedächtniß geblieben ist. -- Ohne daß ich, nach einen Zwischenraum von sechsundzwanzig Jahren, im geringsten mehr als damals, im Stande bin zu begreifen, wie die Seele, welche mit der größten Anstrengung vergebens etwas suchet, in einer Minute oder vielmehr in einer Sekunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andere sagen zu hören. --
Der Lehrer ermuͤdete endlich, mir laͤnger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden; nun ists an dich. Und der Schuͤler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander, und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen koͤnnen. — Es erhellet, glaube ich, schon aus der einzigen Erzaͤhlung dieses Traums, daß ich von meiner fruͤhesten Jugend an, einen Hang gehabt haben muͤsse, mich selbst zu beobachten, weil ich beim Erwachen uͤber diesen dem Anschein nach simpeln, und doch in der That fast unerklaͤrbaren Traum, so frappirt war, daß er mir nachher immer lebhaft im Gedaͤchtniß geblieben ist. — Ohne daß ich, nach einen Zwischenraum von sechsundzwanzig Jahren, im geringsten mehr als damals, im Stande bin zu begreifen, wie die Seele, welche mit der groͤßten Anstrengung vergebens etwas suchet, in einer Minute oder vielmehr in einer Sekunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andere sagen zu hoͤren. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0090" n="90"/><lb/> nach; und konnte den Sinn der Phrases auf keine Weise herausbringen. </p> <p>Der Lehrer ermuͤdete endlich, mir laͤnger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden; nun ists an dich. </p> <p>Und der Schuͤler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander, und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen koͤnnen. — </p> <p>Es erhellet, glaube ich, schon aus der einzigen Erzaͤhlung dieses Traums, daß ich von meiner fruͤhesten Jugend an, einen Hang gehabt haben muͤsse, mich selbst zu beobachten, weil ich beim Erwachen uͤber diesen dem Anschein nach simpeln, und doch in der That fast unerklaͤrbaren Traum, so frappirt war, daß er mir nachher immer lebhaft im Gedaͤchtniß geblieben ist. — Ohne daß ich, nach einen Zwischenraum von sechsundzwanzig Jahren, im geringsten mehr als damals, im Stande bin zu begreifen, <hi rendition="#b">wie die Seele, welche mit der groͤßten Anstrengung vergebens etwas suchet, in einer Minute oder vielmehr in einer Sekunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andere sagen zu hoͤren.</hi> — </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0090]
nach; und konnte den Sinn der Phrases auf keine Weise herausbringen.
Der Lehrer ermuͤdete endlich, mir laͤnger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden; nun ists an dich.
Und der Schuͤler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander, und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen koͤnnen. —
Es erhellet, glaube ich, schon aus der einzigen Erzaͤhlung dieses Traums, daß ich von meiner fruͤhesten Jugend an, einen Hang gehabt haben muͤsse, mich selbst zu beobachten, weil ich beim Erwachen uͤber diesen dem Anschein nach simpeln, und doch in der That fast unerklaͤrbaren Traum, so frappirt war, daß er mir nachher immer lebhaft im Gedaͤchtniß geblieben ist. — Ohne daß ich, nach einen Zwischenraum von sechsundzwanzig Jahren, im geringsten mehr als damals, im Stande bin zu begreifen, wie die Seele, welche mit der groͤßten Anstrengung vergebens etwas suchet, in einer Minute oder vielmehr in einer Sekunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andere sagen zu hoͤren. —
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/90>, abgerufen am 16.02.2025. |