Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
Wenn er von dieser Zeit an ein Thier schlachten sahe, so hielt er sich immer in Gedanken damit zusammen -- und da er bei einem Schlächter wohnte, wo er dieß oft zu sehen Gelegenheit hatte, so ging eine ganze Zeitlang sein bloßes Denken dahin -- den Unterschied zwischen sich und einem solchen Thiere, das geschlachtet wird, auszumitteln. -- Er stand oft Stundenlang, und sahe so ein Kalb, mit Kopf, Augen, Ohren, Mund und Nase, an; und lehnte sich, wie er es bei fremden Menschen machte, so dicht wie möglich an dasselbe an, oft mit dem thörichten Wahn, ob es ihm nicht vielleicht möglich wäre, sich nach und nach in das Wesen eines solchen Thieres hineinzudenken -- es lag ihm alles daran, den Unterschied zwischen sich und dem Thiere zu wissen -- und zuweilen vergaß er sich bei dem anhaltenden Betrachten desselben so sehr, daß er wirklich glaubte, auf einen Augenblick die Art des Daseyns eines solchen Wesens empfunden zu haben -- Kurz, wie ihm seyn würde, wenn er z.B. ein Hund, der unter Menschen lebt, oder ein andres Thier wäre -- das beschäftigte von Kindheit auf sehr oft seine Gedanken. -- Und da er sich nun einmal den Unterschied zwischen Kör-
Wenn er von dieser Zeit an ein Thier schlachten sahe, so hielt er sich immer in Gedanken damit zusammen — und da er bei einem Schlaͤchter wohnte, wo er dieß oft zu sehen Gelegenheit hatte, so ging eine ganze Zeitlang sein bloßes Denken dahin — den Unterschied zwischen sich und einem solchen Thiere, das geschlachtet wird, auszumitteln. — Er stand oft Stundenlang, und sahe so ein Kalb, mit Kopf, Augen, Ohren, Mund und Nase, an; und lehnte sich, wie er es bei fremden Menschen machte, so dicht wie moͤglich an dasselbe an, oft mit dem thoͤrichten Wahn, ob es ihm nicht vielleicht moͤglich waͤre, sich nach und nach in das Wesen eines solchen Thieres hineinzudenken — es lag ihm alles daran, den Unterschied zwischen sich und dem Thiere zu wissen — und zuweilen vergaß er sich bei dem anhaltenden Betrachten desselben so sehr, daß er wirklich glaubte, auf einen Augenblick die Art des Daseyns eines solchen Wesens empfunden zu haben — Kurz, wie ihm seyn wuͤrde, wenn er z.B. ein Hund, der unter Menschen lebt, oder ein andres Thier waͤre — das beschaͤftigte von Kindheit auf sehr oft seine Gedanken. — Und da er sich nun einmal den Unterschied zwischen Koͤr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0078" n="78"/><lb/> immer an den Platz des zerstuͤckten und in Stuͤcken auf das Rad gewundnen hingerichten Missethaͤters zu stellen — und dachte dabei, was schon Salomo gedacht hat: <hi rendition="#b">der Mensch ist wie das Vieh; wie das Vieh stirbet, so stirbet er auch.</hi></p> <p>Wenn er von dieser Zeit an ein Thier schlachten sahe, so hielt er sich immer in Gedanken damit zusammen — und da er bei einem Schlaͤchter wohnte, wo er dieß oft zu sehen Gelegenheit hatte, so ging eine ganze Zeitlang sein bloßes Denken dahin — den Unterschied zwischen sich und einem solchen Thiere, das geschlachtet wird, auszumitteln. — Er stand oft Stundenlang, und sahe so ein Kalb, mit Kopf, Augen, Ohren, Mund und Nase, an; und lehnte sich, wie er es bei <hi rendition="#b">fremden Menschen</hi> machte, so dicht wie moͤglich an dasselbe an, oft mit dem thoͤrichten Wahn, ob es ihm nicht vielleicht moͤglich waͤre, sich nach und nach in das Wesen eines solchen Thieres hineinzudenken — es lag ihm alles daran, den Unterschied zwischen sich und dem Thiere zu wissen — und zuweilen vergaß er sich bei dem anhaltenden Betrachten desselben so sehr, daß er wirklich glaubte, auf einen Augenblick die <hi rendition="#b">Art des Daseyns</hi> eines solchen Wesens empfunden zu haben — Kurz, wie ihm seyn wuͤrde, wenn er z.B. <choice><corr>ein</corr><sic>einen</sic></choice> Hund, der unter Menschen lebt, oder ein andres Thier waͤre — das beschaͤftigte von Kindheit auf sehr oft seine Gedanken. — Und da er sich nun einmal den <hi rendition="#b">Unterschied zwischen Koͤr-<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0078]
immer an den Platz des zerstuͤckten und in Stuͤcken auf das Rad gewundnen hingerichten Missethaͤters zu stellen — und dachte dabei, was schon Salomo gedacht hat: der Mensch ist wie das Vieh; wie das Vieh stirbet, so stirbet er auch.
Wenn er von dieser Zeit an ein Thier schlachten sahe, so hielt er sich immer in Gedanken damit zusammen — und da er bei einem Schlaͤchter wohnte, wo er dieß oft zu sehen Gelegenheit hatte, so ging eine ganze Zeitlang sein bloßes Denken dahin — den Unterschied zwischen sich und einem solchen Thiere, das geschlachtet wird, auszumitteln. — Er stand oft Stundenlang, und sahe so ein Kalb, mit Kopf, Augen, Ohren, Mund und Nase, an; und lehnte sich, wie er es bei fremden Menschen machte, so dicht wie moͤglich an dasselbe an, oft mit dem thoͤrichten Wahn, ob es ihm nicht vielleicht moͤglich waͤre, sich nach und nach in das Wesen eines solchen Thieres hineinzudenken — es lag ihm alles daran, den Unterschied zwischen sich und dem Thiere zu wissen — und zuweilen vergaß er sich bei dem anhaltenden Betrachten desselben so sehr, daß er wirklich glaubte, auf einen Augenblick die Art des Daseyns eines solchen Wesens empfunden zu haben — Kurz, wie ihm seyn wuͤrde, wenn er z.B. ein Hund, der unter Menschen lebt, oder ein andres Thier waͤre — das beschaͤftigte von Kindheit auf sehr oft seine Gedanken. — Und da er sich nun einmal den Unterschied zwischen Koͤr-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/78>, abgerufen am 16.02.2025. |