Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.Das waren ohngefähr die Gedanken, die damals ein dunkles Gefühl in ihm hervorbrachten, weil er sie nicht in Worte einzukleiden, und sie sich deutlich zu machen wußte. Einmal da ein Missethäter auf dem Rabensteine vor H... geköpft wurde -- ging er unter der Menge von Menschen mit hinaus, und sahe nun einen darunter, welcher aus der Zahl der übrigen ausgetilgt und zerstückt werden sollte -- dieß kam ihm so klein, so unbedeutend vor, da der ihn umgebenden Menschenmasse noch so viel war -- als ob ein Baum im Walde umgehauen, oder ein Ochse gefällt werden sollte -- und da nun die Stücken dieses hingerichteten Menschen auf das Rad hinaufgewunden wurden, und er sich selbst, und die um ihn herstehenden Menschen eben so zerstückbar dachte -- so wurde ihm der Mensch so nichtswerth und unbedeutend, daß er sein Schicksal und alles in dem Gedanken von der thierischen Zerstückbarkeit begrub -- und sogar mit einem gewissen Vergnügen wieder zu Hause ging, und seinen ** Teig auf dem Wege verzehrte -- denn es war damals gerade sein schreckliches Vierteljahr, wo er manche Tage bloß von diesem Teige lebte -- Nahrung und Kleidung war ihm gleichgültig, so wie Tod und Leben -- ob nun eine solche menschliche Fleischmasse, deren es eine so ungeheure Anzahl giebt, auf der Welt mehr umher geht, oder nicht! -- denn er konnte sich nicht enthalten, sich Das waren ohngefaͤhr die Gedanken, die damals ein dunkles Gefuͤhl in ihm hervorbrachten, weil er sie nicht in Worte einzukleiden, und sie sich deutlich zu machen wußte. Einmal da ein Missethaͤter auf dem Rabensteine vor H... gekoͤpft wurde — ging er unter der Menge von Menschen mit hinaus, und sahe nun einen darunter, welcher aus der Zahl der uͤbrigen ausgetilgt und zerstuͤckt werden sollte — dieß kam ihm so klein, so unbedeutend vor, da der ihn umgebenden Menschenmasse noch so viel war — als ob ein Baum im Walde umgehauen, oder ein Ochse gefaͤllt werden sollte — und da nun die Stuͤcken dieses hingerichteten Menschen auf das Rad hinaufgewunden wurden, und er sich selbst, und die um ihn herstehenden Menschen eben so zerstuͤckbar dachte — so wurde ihm der Mensch so nichtswerth und unbedeutend, daß er sein Schicksal und alles in dem Gedanken von der thierischen Zerstuͤckbarkeit begrub — und sogar mit einem gewissen Vergnuͤgen wieder zu Hause ging, und seinen ** Teig auf dem Wege verzehrte — denn es war damals gerade sein schreckliches Vierteljahr, wo er manche Tage bloß von diesem Teige lebte — Nahrung und Kleidung war ihm gleichguͤltig, so wie Tod und Leben — ob nun eine solche menschliche Fleischmasse, deren es eine so ungeheure Anzahl giebt, auf der Welt mehr umher geht, oder nicht! — denn er konnte sich nicht enthalten, sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0077" n="77"/><lb/> <p>Das waren ohngefaͤhr die Gedanken, die damals ein dunkles Gefuͤhl in ihm hervorbrachten, weil er sie nicht in Worte einzukleiden, und sie sich deutlich zu machen wußte. </p> <p>Einmal da ein Missethaͤter auf dem Rabensteine vor H... gekoͤpft wurde — ging er unter der Menge von Menschen mit hinaus, und sahe nun einen darunter, welcher aus der Zahl der uͤbrigen ausgetilgt und zerstuͤckt werden sollte — dieß kam ihm so klein, so unbedeutend vor, da der ihn umgebenden <hi rendition="#b">Menschenmasse</hi> noch so viel war — als ob ein Baum im Walde umgehauen, oder ein Ochse gefaͤllt werden sollte — und da nun die Stuͤcken dieses hingerichteten Menschen auf das Rad hinaufgewunden wurden, und er sich selbst, und die um ihn herstehenden Menschen eben so <hi rendition="#b">zerstuͤckbar</hi> dachte — so wurde ihm der Mensch so nichtswerth und unbedeutend, daß er sein Schicksal und alles in dem Gedanken von der thierischen <hi rendition="#b">Zerstuͤckbarkeit</hi> begrub — und sogar mit einem gewissen Vergnuͤgen wieder zu Hause ging, und seinen <hi rendition="#b">** Teig</hi> auf dem Wege verzehrte — denn es war damals gerade sein schreckliches Vierteljahr, wo er manche Tage bloß von diesem Teige lebte — Nahrung und Kleidung war ihm gleichguͤltig, so wie Tod und Leben — ob nun eine solche menschliche Fleischmasse, deren es eine so ungeheure Anzahl giebt, auf der Welt mehr umher geht, oder nicht! — denn er konnte sich nicht enthalten, sich<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0077]
Das waren ohngefaͤhr die Gedanken, die damals ein dunkles Gefuͤhl in ihm hervorbrachten, weil er sie nicht in Worte einzukleiden, und sie sich deutlich zu machen wußte.
Einmal da ein Missethaͤter auf dem Rabensteine vor H... gekoͤpft wurde — ging er unter der Menge von Menschen mit hinaus, und sahe nun einen darunter, welcher aus der Zahl der uͤbrigen ausgetilgt und zerstuͤckt werden sollte — dieß kam ihm so klein, so unbedeutend vor, da der ihn umgebenden Menschenmasse noch so viel war — als ob ein Baum im Walde umgehauen, oder ein Ochse gefaͤllt werden sollte — und da nun die Stuͤcken dieses hingerichteten Menschen auf das Rad hinaufgewunden wurden, und er sich selbst, und die um ihn herstehenden Menschen eben so zerstuͤckbar dachte — so wurde ihm der Mensch so nichtswerth und unbedeutend, daß er sein Schicksal und alles in dem Gedanken von der thierischen Zerstuͤckbarkeit begrub — und sogar mit einem gewissen Vergnuͤgen wieder zu Hause ging, und seinen ** Teig auf dem Wege verzehrte — denn es war damals gerade sein schreckliches Vierteljahr, wo er manche Tage bloß von diesem Teige lebte — Nahrung und Kleidung war ihm gleichguͤltig, so wie Tod und Leben — ob nun eine solche menschliche Fleischmasse, deren es eine so ungeheure Anzahl giebt, auf der Welt mehr umher geht, oder nicht! — denn er konnte sich nicht enthalten, sich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/77 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/77>, abgerufen am 16.02.2025. |