Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
So weit mein Blick meine und unsere Jugend verfolgen kann -- und alle die Zufälle, die sich mir noch auf dem Hinblick in die verflossenen Freudenjahre offenbaren, will ich Dir, lieber Bruder! vorlegen; denn sie mögen allenfalls einem Menschenforscher interessant seyn. Ueber vier Jahre weiß ich mich nicht einer einzigen Begebenheit zu entsinnen, und just war ich vier Jahre alt, als die letzte Theurung in unsern Gegenden einfiel ; mit dieser Epoche fängt mein Bewußtseyn an. Der Blick in diese Zeiten erfüllt mich mit Grauen und Schauer, und mein Gefühl zerfließt in dem Elend der Leidenden. Jch will, was mir da mein Bewußtseyn noch entdeckt, anzeigen; die Deutlichkeit, in der folgende Begebenheit meinem Gedächtniß noch inne ist, und mit welcher ich sogar die gesprochenen Worte und die geringsten Umstände, die die Sache begleiteten, deren aller Detaillirung aber die Erzählung freilich zu weitläufig machen würde, hererzählen kann, beweißt den Eindruck, den dergleichen Fälle auf mein Gefühl machten; zugleich auch die vorzüglichste Stimmung und Richtung meines Karakters; und welcher Art von Theilnehmung mein Herz am empfänglichsten ist; und giebt schon Aufschluß zu meinen folgenden Lebenszügen.
So weit mein Blick meine und unsere Jugend verfolgen kann — und alle die Zufaͤlle, die sich mir noch auf dem Hinblick in die verflossenen Freudenjahre offenbaren, will ich Dir, lieber Bruder! vorlegen; denn sie moͤgen allenfalls einem Menschenforscher interessant seyn. Ueber vier Jahre weiß ich mich nicht einer einzigen Begebenheit zu entsinnen, und just war ich vier Jahre alt, als die letzte Theurung in unsern Gegenden einfiel ; mit dieser Epoche faͤngt mein Bewußtseyn an. Der Blick in diese Zeiten erfuͤllt mich mit Grauen und Schauer, und mein Gefuͤhl zerfließt in dem Elend der Leidenden. Jch will, was mir da mein Bewußtseyn noch entdeckt, anzeigen; die Deutlichkeit, in der folgende Begebenheit meinem Gedaͤchtniß noch inne ist, und mit welcher ich sogar die gesprochenen Worte und die geringsten Umstaͤnde, die die Sache begleiteten, deren aller Detaillirung aber die Erzaͤhlung freilich zu weitlaͤufig machen wuͤrde, hererzaͤhlen kann, beweißt den Eindruck, den dergleichen Faͤlle auf mein Gefuͤhl machten; zugleich auch die vorzuͤglichste Stimmung und Richtung meines Karakters; und welcher Art von Theilnehmung mein Herz am empfaͤnglichsten ist; und giebt schon Aufschluß zu meinen folgenden Lebenszuͤgen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0069" n="69"/><lb/> keiten wir mit so vielem Gefuͤhl und gemeinschaftlicher Theilnehmung betrachteten, genossen. </p> <p>So weit mein Blick meine und unsere Jugend verfolgen kann — und alle die Zufaͤlle, die sich mir noch auf dem Hinblick in die verflossenen Freudenjahre offenbaren, will ich Dir, lieber Bruder! vorlegen; denn sie moͤgen allenfalls einem Menschenforscher interessant seyn. </p> <p>Ueber vier Jahre weiß ich mich nicht einer einzigen Begebenheit zu entsinnen, und just war ich vier Jahre alt, als die letzte Theurung in unsern Gegenden einfiel ; mit dieser Epoche faͤngt mein Bewußtseyn an. Der Blick in diese Zeiten erfuͤllt mich mit Grauen und Schauer, und mein Gefuͤhl zerfließt in dem Elend der Leidenden. Jch will, was mir da mein Bewußtseyn noch entdeckt, anzeigen; die Deutlichkeit, in der folgende Begebenheit meinem Gedaͤchtniß noch inne ist, und mit welcher ich sogar die gesprochenen Worte und die geringsten Umstaͤnde, die die Sache begleiteten, deren aller Detaillirung aber die Erzaͤhlung freilich zu weitlaͤufig machen wuͤrde, hererzaͤhlen kann, beweißt den Eindruck, den dergleichen Faͤlle auf mein Gefuͤhl machten; zugleich auch die vorzuͤglichste Stimmung und Richtung meines Karakters; und welcher Art von Theilnehmung mein Herz am empfaͤnglichsten ist; und giebt schon Aufschluß zu meinen folgenden Lebenszuͤgen. </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0069]
keiten wir mit so vielem Gefuͤhl und gemeinschaftlicher Theilnehmung betrachteten, genossen.
So weit mein Blick meine und unsere Jugend verfolgen kann — und alle die Zufaͤlle, die sich mir noch auf dem Hinblick in die verflossenen Freudenjahre offenbaren, will ich Dir, lieber Bruder! vorlegen; denn sie moͤgen allenfalls einem Menschenforscher interessant seyn.
Ueber vier Jahre weiß ich mich nicht einer einzigen Begebenheit zu entsinnen, und just war ich vier Jahre alt, als die letzte Theurung in unsern Gegenden einfiel ; mit dieser Epoche faͤngt mein Bewußtseyn an. Der Blick in diese Zeiten erfuͤllt mich mit Grauen und Schauer, und mein Gefuͤhl zerfließt in dem Elend der Leidenden. Jch will, was mir da mein Bewußtseyn noch entdeckt, anzeigen; die Deutlichkeit, in der folgende Begebenheit meinem Gedaͤchtniß noch inne ist, und mit welcher ich sogar die gesprochenen Worte und die geringsten Umstaͤnde, die die Sache begleiteten, deren aller Detaillirung aber die Erzaͤhlung freilich zu weitlaͤufig machen wuͤrde, hererzaͤhlen kann, beweißt den Eindruck, den dergleichen Faͤlle auf mein Gefuͤhl machten; zugleich auch die vorzuͤglichste Stimmung und Richtung meines Karakters; und welcher Art von Theilnehmung mein Herz am empfaͤnglichsten ist; und giebt schon Aufschluß zu meinen folgenden Lebenszuͤgen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/69>, abgerufen am 16.02.2025. |