Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
Wer also mit Taubstummen gut wegkommen will, muß ganz aufmerksam auf sein Betragen seyn, und mit der größten Behutsamkeit zum wenigsten so lange zu Werke gehn, bis er endlich das Vertrauen eines solchen Menschen gewonnen hat, und ist ihm endlich das seltene Glück, dieses ganz zu gewinnen, zu Theil worden, so kann er auch auf seine Treue und Freundschaft gewiß trauen; zum wenigsten weiß ich dieses bei dem Taubstummen, der der Gegenstand dieser Abhandlung gewesen ist, aus vielfältiger Erfahrung. Daß aber dieser Herbst, der sich, wie ich oben gesagt habe, nicht einen Heller zu entwenden verstattete, doch ohne alles Bedenken Speisen, die er nur habhaft werden konnte, hinwegnahm -- hiervon glaube ich, daß der Grund allein in der Erziehung liege. Wer weiß nicht, daß das schändliche Vorurtheil unter dem Pöbel allgemein herrschend zu seyn scheint, nach welchen die heimliche Entwendung gewisser Dinge gar nicht den Nahmen eines Diebstahls verdienen, und es bisweilen eine unsündliche Zueignung einer freilich fremden Sache ohne Wissen des Eigenthümers geben soll. Jch kann mich noch sehr wohl entsinnen, was für große Mühe und Arbeit es mir einmal kostete, einen Menschen davon zu überzeugen, daß der, welcher etwas vom
Wer also mit Taubstummen gut wegkommen will, muß ganz aufmerksam auf sein Betragen seyn, und mit der groͤßten Behutsamkeit zum wenigsten so lange zu Werke gehn, bis er endlich das Vertrauen eines solchen Menschen gewonnen hat, und ist ihm endlich das seltene Gluͤck, dieses ganz zu gewinnen, zu Theil worden, so kann er auch auf seine Treue und Freundschaft gewiß trauen; zum wenigsten weiß ich dieses bei dem Taubstummen, der der Gegenstand dieser Abhandlung gewesen ist, aus vielfaͤltiger Erfahrung. Daß aber dieser Herbst, der sich, wie ich oben gesagt habe, nicht einen Heller zu entwenden verstattete, doch ohne alles Bedenken Speisen, die er nur habhaft werden konnte, hinwegnahm — hiervon glaube ich, daß der Grund allein in der Erziehung liege. Wer weiß nicht, daß das schaͤndliche Vorurtheil unter dem Poͤbel allgemein herrschend zu seyn scheint, nach welchen die heimliche Entwendung gewisser Dinge gar nicht den Nahmen eines Diebstahls verdienen, und es bisweilen eine unsuͤndliche Zueignung einer freilich fremden Sache ohne Wissen des Eigenthuͤmers geben soll. Jch kann mich noch sehr wohl entsinnen, was fuͤr große Muͤhe und Arbeit es mir einmal kostete, einen Menschen davon zu uͤberzeugen, daß der, welcher etwas vom <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0053" n="53"/><lb/> bei ihren boshaftesten Feinden nicht einmal vermuthet haͤtten. </p> <p>Wer also mit Taubstummen gut wegkommen will, muß ganz aufmerksam auf sein Betragen seyn, und mit der groͤßten Behutsamkeit zum wenigsten so lange zu Werke gehn, bis er endlich das Vertrauen eines solchen Menschen gewonnen hat, und ist ihm endlich das seltene Gluͤck, dieses ganz zu gewinnen, zu Theil worden, so kann er auch auf seine Treue und Freundschaft gewiß trauen; zum wenigsten weiß ich dieses bei dem Taubstummen, der der Gegenstand dieser Abhandlung gewesen ist, aus vielfaͤltiger Erfahrung. </p> <p>Daß aber dieser <hi rendition="#b">Herbst,</hi> der sich, wie ich oben gesagt habe, nicht einen Heller zu entwenden verstattete, doch ohne alles Bedenken Speisen, die er nur habhaft werden konnte, hinwegnahm — hiervon glaube ich, daß der Grund allein in der Erziehung liege. </p> <p>Wer weiß nicht, daß das schaͤndliche Vorurtheil unter dem Poͤbel allgemein herrschend zu seyn scheint, nach welchen die heimliche Entwendung gewisser Dinge gar nicht den Nahmen eines Diebstahls verdienen, und es bisweilen eine unsuͤndliche Zueignung einer freilich fremden Sache ohne Wissen des Eigenthuͤmers geben soll. Jch kann mich noch sehr wohl entsinnen, was fuͤr große Muͤhe und Arbeit es mir einmal kostete, einen Menschen davon zu uͤberzeugen, daß der, welcher etwas vom<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0053]
bei ihren boshaftesten Feinden nicht einmal vermuthet haͤtten.
Wer also mit Taubstummen gut wegkommen will, muß ganz aufmerksam auf sein Betragen seyn, und mit der groͤßten Behutsamkeit zum wenigsten so lange zu Werke gehn, bis er endlich das Vertrauen eines solchen Menschen gewonnen hat, und ist ihm endlich das seltene Gluͤck, dieses ganz zu gewinnen, zu Theil worden, so kann er auch auf seine Treue und Freundschaft gewiß trauen; zum wenigsten weiß ich dieses bei dem Taubstummen, der der Gegenstand dieser Abhandlung gewesen ist, aus vielfaͤltiger Erfahrung.
Daß aber dieser Herbst, der sich, wie ich oben gesagt habe, nicht einen Heller zu entwenden verstattete, doch ohne alles Bedenken Speisen, die er nur habhaft werden konnte, hinwegnahm — hiervon glaube ich, daß der Grund allein in der Erziehung liege.
Wer weiß nicht, daß das schaͤndliche Vorurtheil unter dem Poͤbel allgemein herrschend zu seyn scheint, nach welchen die heimliche Entwendung gewisser Dinge gar nicht den Nahmen eines Diebstahls verdienen, und es bisweilen eine unsuͤndliche Zueignung einer freilich fremden Sache ohne Wissen des Eigenthuͤmers geben soll. Jch kann mich noch sehr wohl entsinnen, was fuͤr große Muͤhe und Arbeit es mir einmal kostete, einen Menschen davon zu uͤberzeugen, daß der, welcher etwas vom
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/53>, abgerufen am 16.02.2025. |