Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
Was mir die Wahrheit des Phänomens etwas verdächtig macht, ist nicht die Glaubwürdigkeit der Erzählerin, die eben nicht gern auskramt von ihren Begegnissen, und durch öftere Reisen als Schauspielerin oder Tänzerin ihr weibliches
Was mir die Wahrheit des Phaͤnomens etwas verdaͤchtig macht, ist nicht die Glaubwuͤrdigkeit der Erzaͤhlerin, die eben nicht gern auskramt von ihren Begegnissen, und durch oͤftere Reisen als Schauspielerin oder Taͤnzerin ihr weibliches <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0039" n="39"/><lb/> und wolle als Maske in scherzhafter Laune sich ihr darstellen, und redet daher auch das Phantasma als ihren Mann an. Ei, Kahlow, sagt sie laͤchelnd, was machst Du? Komm doch zu mir her! So munterte sie ihren vermeinten verkleideten Mann verschiedenemahle auf, seinen Posten zu verlassen; allein vergebens. Sie ruft endlich die Kinderwaͤrterin, die ihr auch antwortet. Endlich faͤllt ihr ihr Bruder ein, der sie zaͤrtlich liebte, und mit einer Person nach Constantinopel vor mehreren Jahren wehmuͤthig von seiner zaͤrtlichen Schwester gegangen war, und in dem schweren Augenblick der Trennung unter andern die Worte seiner Schwester zugeschluchzt hatte: »Schwester, wenn ich weit von Dir gerissen sterben sollte, dann uͤberbringe ich Dir selbst die Todespost.« Selten nur hatte Frau K.. nach einer Entfernung ihres Bruders von vielen Jahren mit der Lebhaftigkeit und oͤfteren Erinnerung an ihn gedacht, daß er ihr gerade jetzo einfallen konnte. Sobald aber, wie sie in dem taͤuschenden Manne den verlornen Bruder erblickt, schreiet sie auch auf: Ach, Leopold! — so hieß der Bruder, und — weg ist das Bild. </p> <p>Was mir die Wahrheit des Phaͤnomens etwas verdaͤchtig macht, ist nicht die Glaubwuͤrdigkeit der Erzaͤhlerin, die eben nicht gern auskramt von ihren Begegnissen, und durch oͤftere Reisen als Schauspielerin oder Taͤnzerin ihr weibliches<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0039]
und wolle als Maske in scherzhafter Laune sich ihr darstellen, und redet daher auch das Phantasma als ihren Mann an. Ei, Kahlow, sagt sie laͤchelnd, was machst Du? Komm doch zu mir her! So munterte sie ihren vermeinten verkleideten Mann verschiedenemahle auf, seinen Posten zu verlassen; allein vergebens. Sie ruft endlich die Kinderwaͤrterin, die ihr auch antwortet. Endlich faͤllt ihr ihr Bruder ein, der sie zaͤrtlich liebte, und mit einer Person nach Constantinopel vor mehreren Jahren wehmuͤthig von seiner zaͤrtlichen Schwester gegangen war, und in dem schweren Augenblick der Trennung unter andern die Worte seiner Schwester zugeschluchzt hatte: »Schwester, wenn ich weit von Dir gerissen sterben sollte, dann uͤberbringe ich Dir selbst die Todespost.« Selten nur hatte Frau K.. nach einer Entfernung ihres Bruders von vielen Jahren mit der Lebhaftigkeit und oͤfteren Erinnerung an ihn gedacht, daß er ihr gerade jetzo einfallen konnte. Sobald aber, wie sie in dem taͤuschenden Manne den verlornen Bruder erblickt, schreiet sie auch auf: Ach, Leopold! — so hieß der Bruder, und — weg ist das Bild.
Was mir die Wahrheit des Phaͤnomens etwas verdaͤchtig macht, ist nicht die Glaubwuͤrdigkeit der Erzaͤhlerin, die eben nicht gern auskramt von ihren Begegnissen, und durch oͤftere Reisen als Schauspielerin oder Taͤnzerin ihr weibliches
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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