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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

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sich gemächlich in seinem ledernen Polster, welchen der stolze Narr sein Catheder nannte, nieder, und beschloß endlich seine exegetische Stunde, sonderlich wenn er guter Laune war, mit einem lustigen Histörchen, dergleichen er immer verschiedene in Bereitschaft hatte, und die er Erläuterungen seines Textes zu nennen pflegte. Eulenspiegel war vornehmlich sein Held, und durch ihn söhnte er gemeiniglich die Kinder wieder mit sich aus, welche er gezüchtigt hatte. Sobald er Eulenspiegels Namen nannte, war die ganze Schule aufmerksam, einer gebot dem andern tiefes Stillschweigen, ein heiteres Lächeln schwebte auf jedem Gesichte, und die um ihn sassen, streichelten ihm das Kinn, oder drückten ihm schon im Voraus mit Dankbarkeit die Hand. -- Ein Beispiel eurer Erbsünde, ihr gottlosen Krabben! sagte er denn gemeiniglich, daß ihr Till Eulenspiegel lieber als Gottes Wort hört! --

Nach der exegetischen Stunde fingen die größern Kinder zu schreiben, und die kleinern zu buchstabiren an. Dieß war das einzige Gute, was Schack in der Dorfschule lernte, und worin er bald glückliche Fortschritte machte. Das Buchstabiren geschah hier, wie in allen Dorf- und Winkelschulen nach einem Abcbuch, welches Schack wegen der darin enthaltenen Holzschnitte sehr lieb hatte, und worin eine Menge einzelner Silben, und in ihre Silben zertheilter Wörter befindlich waren. Ein Kind wurde nach dem andern vor dem Schulmei-


sich gemaͤchlich in seinem ledernen Polster, welchen der stolze Narr sein Catheder nannte, nieder, und beschloß endlich seine exegetische Stunde, sonderlich wenn er guter Laune war, mit einem lustigen Histoͤrchen, dergleichen er immer verschiedene in Bereitschaft hatte, und die er Erlaͤuterungen seines Textes zu nennen pflegte. Eulenspiegel war vornehmlich sein Held, und durch ihn soͤhnte er gemeiniglich die Kinder wieder mit sich aus, welche er gezuͤchtigt hatte. Sobald er Eulenspiegels Namen nannte, war die ganze Schule aufmerksam, einer gebot dem andern tiefes Stillschweigen, ein heiteres Laͤcheln schwebte auf jedem Gesichte, und die um ihn sassen, streichelten ihm das Kinn, oder druͤckten ihm schon im Voraus mit Dankbarkeit die Hand. — Ein Beispiel eurer Erbsuͤnde, ihr gottlosen Krabben! sagte er denn gemeiniglich, daß ihr Till Eulenspiegel lieber als Gottes Wort hoͤrt! —

Nach der exegetischen Stunde fingen die groͤßern Kinder zu schreiben, und die kleinern zu buchstabiren an. Dieß war das einzige Gute, was Schack in der Dorfschule lernte, und worin er bald gluͤckliche Fortschritte machte. Das Buchstabiren geschah hier, wie in allen Dorf- und Winkelschulen nach einem Abcbuch, welches Schack wegen der darin enthaltenen Holzschnitte sehr lieb hatte, und worin eine Menge einzelner Silben, und in ihre Silben zertheilter Woͤrter befindlich waren. Ein Kind wurde nach dem andern vor dem Schulmei-

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[123/0123] sich gemaͤchlich in seinem ledernen Polster, welchen der stolze Narr sein Catheder nannte, nieder, und beschloß endlich seine exegetische Stunde, sonderlich wenn er guter Laune war, mit einem lustigen Histoͤrchen, dergleichen er immer verschiedene in Bereitschaft hatte, und die er Erlaͤuterungen seines Textes zu nennen pflegte. Eulenspiegel war vornehmlich sein Held, und durch ihn soͤhnte er gemeiniglich die Kinder wieder mit sich aus, welche er gezuͤchtigt hatte. Sobald er Eulenspiegels Namen nannte, war die ganze Schule aufmerksam, einer gebot dem andern tiefes Stillschweigen, ein heiteres Laͤcheln schwebte auf jedem Gesichte, und die um ihn sassen, streichelten ihm das Kinn, oder druͤckten ihm schon im Voraus mit Dankbarkeit die Hand. — Ein Beispiel eurer Erbsuͤnde, ihr gottlosen Krabben! sagte er denn gemeiniglich, daß ihr Till Eulenspiegel lieber als Gottes Wort hoͤrt! — Nach der exegetischen Stunde fingen die groͤßern Kinder zu schreiben, und die kleinern zu buchstabiren an. Dieß war das einzige Gute, was Schack in der Dorfschule lernte, und worin er bald gluͤckliche Fortschritte machte. Das Buchstabiren geschah hier, wie in allen Dorf- und Winkelschulen nach einem Abcbuch, welches Schack wegen der darin enthaltenen Holzschnitte sehr lieb hatte, und worin eine Menge einzelner Silben, und in ihre Silben zertheilter Woͤrter befindlich waren. Ein Kind wurde nach dem andern vor dem Schulmei-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/123>, abgerufen am 24.11.2024.