Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.
Mit welcher Freude und Eifer würde ich eine horazische Ode oder sonst einen Autor erklären, und vielleicht durch Deklamation oder durch einen muntern Vortrag Beifall gewinnen. Seitdem jene unglückliche Jdee aus meiner Seele verbannt ist, bin ich ganz anders geworden. Nur ein vorgestecktes Ziel fehlt mir, wornach ich arbeite; was könnte nun vielleicht noch aus mir werden! ich meyne, wie könnte ich mich vervollkommen; und welche Ruhe der Seele und welche Freudigkeit des Gewissens könnte ich haben! Du kennst mich ja, daß es in meiner itzigen Lage wohl schwer ist, mich so völlig zum Prediger zu bilden. Jch glaube, in irgend so einem Posten an einem Jnstitute würde ich mich zum aufgeklärten Menschen bilden, und dann mit zunehmenden Jahren, wenn ich wieder in Ruf bin, und das Bewußtseyn einer wohlangewandten Zeit habe, könnte ich noch ein guter Prediger werden. Hundert Thaler will mir mein Vater jährlich geben; sieh doch zu, mein Bester, wie Du mir hilfst. Schreib mir doch bald, und unterrichte mich von Dessau, was es für eine Bewandniß damit
Mit welcher Freude und Eifer wuͤrde ich eine horazische Ode oder sonst einen Autor erklaͤren, und vielleicht durch Deklamation oder durch einen muntern Vortrag Beifall gewinnen. Seitdem jene ungluͤckliche Jdee aus meiner Seele verbannt ist, bin ich ganz anders geworden. Nur ein vorgestecktes Ziel fehlt mir, wornach ich arbeite; was koͤnnte nun vielleicht noch aus mir werden! ich meyne, wie koͤnnte ich mich vervollkommen; und welche Ruhe der Seele und welche Freudigkeit des Gewissens koͤnnte ich haben! Du kennst mich ja, daß es in meiner itzigen Lage wohl schwer ist, mich so voͤllig zum Prediger zu bilden. Jch glaube, in irgend so einem Posten an einem Jnstitute wuͤrde ich mich zum aufgeklaͤrten Menschen bilden, und dann mit zunehmenden Jahren, wenn ich wieder in Ruf bin, und das Bewußtseyn einer wohlangewandten Zeit habe, koͤnnte ich noch ein guter Prediger werden. Hundert Thaler will mir mein Vater jaͤhrlich geben; sieh doch zu, mein Bester, wie Du mir hilfst. Schreib mir doch bald, und unterrichte mich von Dessau, was es fuͤr eine Bewandniß damit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0096" n="94"/><lb/> men gemeinschaftlich Hand in Hand geschlagen zum Wohl der menschlichen Gesellschaft arbeiten koͤnnten, oder Du mir doch durch Dein bruͤderliches Zurechtweisen und Anleiten hierin nuͤtzlich wuͤrdest. </p> <p>Mit welcher Freude und Eifer wuͤrde ich eine horazische Ode oder sonst einen Autor erklaͤren, und vielleicht durch Deklamation oder durch einen muntern Vortrag Beifall gewinnen. </p> <p>Seitdem jene ungluͤckliche Jdee aus meiner Seele verbannt ist, bin ich ganz anders geworden. Nur ein vorgestecktes Ziel fehlt mir, wornach ich arbeite; was koͤnnte nun vielleicht noch aus mir werden! ich meyne, wie koͤnnte ich mich vervollkommen; und welche Ruhe der Seele und welche Freudigkeit des Gewissens koͤnnte ich haben! Du kennst mich ja, daß es in meiner itzigen Lage wohl schwer ist, mich so voͤllig zum <hi rendition="#b">Prediger</hi> zu bilden. </p> <p>Jch glaube, in irgend so einem Posten an einem Jnstitute wuͤrde ich mich zum aufgeklaͤrten Menschen bilden, und dann mit zunehmenden Jahren, wenn ich wieder in Ruf bin, und das Bewußtseyn einer wohlangewandten Zeit habe, koͤnnte ich noch ein guter Prediger werden. Hundert Thaler will mir mein Vater jaͤhrlich geben; sieh doch zu, mein Bester, wie Du mir hilfst. </p> <p>Schreib mir doch bald, und unterrichte mich von Dessau, was es fuͤr eine Bewandniß damit<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0096]
men gemeinschaftlich Hand in Hand geschlagen zum Wohl der menschlichen Gesellschaft arbeiten koͤnnten, oder Du mir doch durch Dein bruͤderliches Zurechtweisen und Anleiten hierin nuͤtzlich wuͤrdest.
Mit welcher Freude und Eifer wuͤrde ich eine horazische Ode oder sonst einen Autor erklaͤren, und vielleicht durch Deklamation oder durch einen muntern Vortrag Beifall gewinnen.
Seitdem jene ungluͤckliche Jdee aus meiner Seele verbannt ist, bin ich ganz anders geworden. Nur ein vorgestecktes Ziel fehlt mir, wornach ich arbeite; was koͤnnte nun vielleicht noch aus mir werden! ich meyne, wie koͤnnte ich mich vervollkommen; und welche Ruhe der Seele und welche Freudigkeit des Gewissens koͤnnte ich haben! Du kennst mich ja, daß es in meiner itzigen Lage wohl schwer ist, mich so voͤllig zum Prediger zu bilden.
Jch glaube, in irgend so einem Posten an einem Jnstitute wuͤrde ich mich zum aufgeklaͤrten Menschen bilden, und dann mit zunehmenden Jahren, wenn ich wieder in Ruf bin, und das Bewußtseyn einer wohlangewandten Zeit habe, koͤnnte ich noch ein guter Prediger werden. Hundert Thaler will mir mein Vater jaͤhrlich geben; sieh doch zu, mein Bester, wie Du mir hilfst.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/96>, abgerufen am 15.08.2024. |