Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.Wenn man ihn nicht beobachtet, ihn nicht etwas kennt, so nimmt er durch seine äußre Scheinheiligkeit ein, und macht es einem schwer, das Gegentheil von dem zu glauben, was er sagt und behauptet. Wenn man ihn aber auch kennt, und selbst Augenzeuge gewesen ist: so läugnet er fort, und bleibt sehr hartnäckig bei dem, was er einmal gesagt hat. Strafe ist ihm wirklich nicht gleichgültig, sondern sie scheint ihm etwas Erniedrigendes an sich zu haben; aber er leidet sie mit einer verzweifelt tückischen Miene, von der ich, wenn sie noch einige Jahre so bleiben sollte, alles befürchten würde. Andre zu tadeln und tadeln zu hören, sie geringschätzig zu machen, scheint ihn zu freuen. Bei dem Lobe andrer ist er in sich gekehrt, murmelt etwas vor sich, welches er überhaupt oft und bei vielen Gelegenheiten thut, besonders, wenn er erinnert wird, und weiß, ehe man sichs versieht, irgend etwas dagegen einzuwenden. Er ist dabei äußerst wild und störrig in seinem ganzen Betragen. Alle seine Geräusche sind hörbarer als der übrigen. Er klettert, schimpft, wirft und stößt um sich, und giebt bei dem allen immer genau Acht, ob er auch bemerkt werden könnte, um alsdenn auf einmal still zu seyn, und die Unschuld selbst zu scheinen. -- Seidel. Wenn man ihn nicht beobachtet, ihn nicht etwas kennt, so nimmt er durch seine aͤußre Scheinheiligkeit ein, und macht es einem schwer, das Gegentheil von dem zu glauben, was er sagt und behauptet. Wenn man ihn aber auch kennt, und selbst Augenzeuge gewesen ist: so laͤugnet er fort, und bleibt sehr hartnaͤckig bei dem, was er einmal gesagt hat. Strafe ist ihm wirklich nicht gleichguͤltig, sondern sie scheint ihm etwas Erniedrigendes an sich zu haben; aber er leidet sie mit einer verzweifelt tuͤckischen Miene, von der ich, wenn sie noch einige Jahre so bleiben sollte, alles befuͤrchten wuͤrde. Andre zu tadeln und tadeln zu hoͤren, sie geringschaͤtzig zu machen, scheint ihn zu freuen. Bei dem Lobe andrer ist er in sich gekehrt, murmelt etwas vor sich, welches er uͤberhaupt oft und bei vielen Gelegenheiten thut, besonders, wenn er erinnert wird, und weiß, ehe man sichs versieht, irgend etwas dagegen einzuwenden. Er ist dabei aͤußerst wild und stoͤrrig in seinem ganzen Betragen. Alle seine Geraͤusche sind hoͤrbarer als der uͤbrigen. Er klettert, schimpft, wirft und stoͤßt um sich, und giebt bei dem allen immer genau Acht, ob er auch bemerkt werden koͤnnte, um alsdenn auf einmal still zu seyn, und die Unschuld selbst zu scheinen. — Seidel. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0086" n="84"/><lb/> <p>Wenn man ihn nicht beobachtet, ihn nicht etwas kennt, so nimmt er durch seine aͤußre Scheinheiligkeit ein, und macht es einem schwer, das Gegentheil von dem zu glauben, was er sagt und behauptet. Wenn man ihn aber auch kennt, und selbst Augenzeuge gewesen ist: so laͤugnet er fort, und bleibt sehr hartnaͤckig bei dem, was er einmal gesagt hat. </p> <p>Strafe ist ihm wirklich nicht gleichguͤltig, sondern sie scheint ihm etwas Erniedrigendes an sich zu haben; aber er leidet sie mit einer verzweifelt tuͤckischen Miene, von der ich, wenn sie noch einige Jahre so bleiben sollte, alles befuͤrchten wuͤrde. </p> <p>Andre zu tadeln und tadeln zu hoͤren, sie geringschaͤtzig zu machen, scheint ihn zu freuen. </p> <p>Bei dem Lobe andrer ist er in sich gekehrt, murmelt etwas vor sich, welches er uͤberhaupt oft und bei vielen Gelegenheiten thut, besonders, wenn er erinnert wird, und weiß, ehe man sichs versieht, irgend etwas dagegen einzuwenden. </p> <p>Er ist dabei aͤußerst wild und stoͤrrig in seinem ganzen Betragen. Alle seine Geraͤusche sind hoͤrbarer als der uͤbrigen. Er klettert, schimpft, wirft und stoͤßt um sich, und giebt bei dem allen immer genau Acht, ob er auch bemerkt werden koͤnnte, um alsdenn auf einmal still zu seyn, und die Unschuld selbst zu scheinen. — </p> <p rendition="#right"> <hi rendition="#b"> <persName ref="#ref0088"><note type="editorial">Seidel, Johann Friedrich</note>Seidel.</persName> </hi> </p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0086]
Wenn man ihn nicht beobachtet, ihn nicht etwas kennt, so nimmt er durch seine aͤußre Scheinheiligkeit ein, und macht es einem schwer, das Gegentheil von dem zu glauben, was er sagt und behauptet. Wenn man ihn aber auch kennt, und selbst Augenzeuge gewesen ist: so laͤugnet er fort, und bleibt sehr hartnaͤckig bei dem, was er einmal gesagt hat.
Strafe ist ihm wirklich nicht gleichguͤltig, sondern sie scheint ihm etwas Erniedrigendes an sich zu haben; aber er leidet sie mit einer verzweifelt tuͤckischen Miene, von der ich, wenn sie noch einige Jahre so bleiben sollte, alles befuͤrchten wuͤrde.
Andre zu tadeln und tadeln zu hoͤren, sie geringschaͤtzig zu machen, scheint ihn zu freuen.
Bei dem Lobe andrer ist er in sich gekehrt, murmelt etwas vor sich, welches er uͤberhaupt oft und bei vielen Gelegenheiten thut, besonders, wenn er erinnert wird, und weiß, ehe man sichs versieht, irgend etwas dagegen einzuwenden.
Er ist dabei aͤußerst wild und stoͤrrig in seinem ganzen Betragen. Alle seine Geraͤusche sind hoͤrbarer als der uͤbrigen. Er klettert, schimpft, wirft und stoͤßt um sich, und giebt bei dem allen immer genau Acht, ob er auch bemerkt werden koͤnnte, um alsdenn auf einmal still zu seyn, und die Unschuld selbst zu scheinen. —
Seidel.
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