Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.
Carl Gotthold Lenz, der Philosophie Beflißner in Jena. Ueber die Beobachtung jugendlicher Charaktere. Die Schildrungen jugendlicher Charaktere können freilich nicht so sicher und so wahr den männlichen Charakter bezeichnen, daß man bei jener schon für zuverläßig bestimmen könnte, wie dieser künftig einmal beschaffen seyn müsse. Der Umstände können viel und mannigfaltige seyn, die eine so starke Umändrung möglich machen, daß dadurch das vorige Gemähide so unkennbar und fremd wird, daß es alsdann vielleicht seinen ganzen Werth verloren zu haben scheint, den es ehmals hatte. Allein es wird doch gleichwohl nicht ganz umsonst da gewesen seyn. Ein wirkliches Gemählde, welches der Künstler von dem Gesichte eines Kindes verfertigt, wird vielleicht nichts mehr mit dem erwachsnen Manne ähnlich haben; und ich denke immer, man werde gleichwohl jenes mit Wohlgefallen betrachten, wenn man weiß, daß es damals ein richtiger und wahrer Abdruck war.
Carl Gotthold Lenz, der Philosophie Beflißner in Jena. Ueber die Beobachtung jugendlicher Charaktere. Die Schildrungen jugendlicher Charaktere koͤnnen freilich nicht so sicher und so wahr den maͤnnlichen Charakter bezeichnen, daß man bei jener schon fuͤr zuverlaͤßig bestimmen koͤnnte, wie dieser kuͤnftig einmal beschaffen seyn muͤsse. Der Umstaͤnde koͤnnen viel und mannigfaltige seyn, die eine so starke Umaͤndrung moͤglich machen, daß dadurch das vorige Gemaͤhide so unkennbar und fremd wird, daß es alsdann vielleicht seinen ganzen Werth verloren zu haben scheint, den es ehmals hatte. Allein es wird doch gleichwohl nicht ganz umsonst da gewesen seyn. Ein wirkliches Gemaͤhlde, welches der Kuͤnstler von dem Gesichte eines Kindes verfertigt, wird vielleicht nichts mehr mit dem erwachsnen Manne aͤhnlich haben; und ich denke immer, man werde gleichwohl jenes mit Wohlgefallen betrachten, wenn man weiß, daß es damals ein richtiger und wahrer Abdruck war. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0080" n="78"/><lb/> tet worden, theils erst nachher dahin gezogen worden, uͤbergehe ich geflissentlich. </p> <p rendition="#right"> <hi rendition="#b"> <persName ref="#ref0086"><note type="editorial">Lenz, Carl Gotthold</note>Carl Gotthold Lenz,</persName> </hi> </p> <p rendition="#right"> der Philosophie Beflißner in Jena.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Ueber die Beobachtung jugendlicher Charaktere.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref88"><note type="editorial"/>Seidel, Johann Friedrich</persName> </bibl> </note> <p>Die Schildrungen jugendlicher Charaktere koͤnnen freilich nicht so sicher und so wahr den maͤnnlichen Charakter bezeichnen, daß man bei jener schon fuͤr zuverlaͤßig bestimmen koͤnnte, wie dieser kuͤnftig einmal beschaffen seyn muͤsse. </p> <p>Der Umstaͤnde koͤnnen viel und mannigfaltige seyn, die eine so starke Umaͤndrung moͤglich machen, daß dadurch das vorige Gemaͤhide so unkennbar und fremd wird, daß es alsdann vielleicht seinen ganzen Werth verloren zu haben scheint, den es ehmals hatte. </p> <p>Allein es wird doch gleichwohl nicht ganz umsonst da gewesen seyn. Ein wirkliches Gemaͤhlde, welches der Kuͤnstler von dem Gesichte eines Kindes verfertigt, wird vielleicht nichts mehr mit dem erwachsnen Manne aͤhnlich haben; und ich denke immer, man werde gleichwohl jenes mit Wohlgefallen betrachten, wenn man weiß, daß es damals ein richtiger und wahrer Abdruck war. </p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0080]
tet worden, theils erst nachher dahin gezogen worden, uͤbergehe ich geflissentlich.
Carl Gotthold Lenz,
der Philosophie Beflißner in Jena.
Ueber die Beobachtung jugendlicher Charaktere.
Die Schildrungen jugendlicher Charaktere koͤnnen freilich nicht so sicher und so wahr den maͤnnlichen Charakter bezeichnen, daß man bei jener schon fuͤr zuverlaͤßig bestimmen koͤnnte, wie dieser kuͤnftig einmal beschaffen seyn muͤsse.
Der Umstaͤnde koͤnnen viel und mannigfaltige seyn, die eine so starke Umaͤndrung moͤglich machen, daß dadurch das vorige Gemaͤhide so unkennbar und fremd wird, daß es alsdann vielleicht seinen ganzen Werth verloren zu haben scheint, den es ehmals hatte.
Allein es wird doch gleichwohl nicht ganz umsonst da gewesen seyn. Ein wirkliches Gemaͤhlde, welches der Kuͤnstler von dem Gesichte eines Kindes verfertigt, wird vielleicht nichts mehr mit dem erwachsnen Manne aͤhnlich haben; und ich denke immer, man werde gleichwohl jenes mit Wohlgefallen betrachten, wenn man weiß, daß es damals ein richtiger und wahrer Abdruck war.
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