Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


Vorstellungsart läßt sich wohl am besten durch das beständige Streben nach etwas Zukünftigen erklären, wovon wir die Jdeen zu haben wünschen -- er hat gelebt heißt so viel: als er hat nun sein Leben vollständig dahin, er darf nun nichts erwarten. -- Die Vollständigkeit aber oder das Vollendete wird durch die Silbe ge bezeichnet, wie ich hinlänglich erwiesen zu haben glaube.


Jm zweiten Stück des zweiten Bandes pag. 111 steht die Fortsetzung dieser Untersuchung über die Mittelbegriffe vom Seyn und Haben, wodurch wir uns die Vergangenheit, und über den Mittelbegriff des Werdens, wodurch wir uns die Zukunft denken.

Alsdenn folgt ein Aufsatz über die Pronomina in psychologischer Rücksicht, zu welchen ich hier noch einige Bemerkungen hinzufügen will.

Es ist nehmlich sehr merkwürdig, daß man sein ich nur außer sich denkt, sobald ein anders handelndes Wesen von außen her auf uns wirkt, und uns gleichsam unser Daseyn außer uns fühlbar macht;

mich, dich, sich, sind nehmlich offenbar Zusammenziehungen aus mein ich, dein ich, sein ich -- Nun fühle ich einen Widerstand zu sagen: mein Jch oder mich sieht dich, sondern ich sage: ich sehe dich -- Jndem mein Gedanke von mir selber ausgeht, kann ich mich unmöglich als Objekt


Vorstellungsart laͤßt sich wohl am besten durch das bestaͤndige Streben nach etwas Zukuͤnftigen erklaͤren, wovon wir die Jdeen zu haben wuͤnschen — er hat gelebt heißt so viel: als er hat nun sein Leben vollstaͤndig dahin, er darf nun nichts erwarten. — Die Vollstaͤndigkeit aber oder das Vollendete wird durch die Silbe ge bezeichnet, wie ich hinlaͤnglich erwiesen zu haben glaube.


Jm zweiten Stuͤck des zweiten Bandes pag. 111 steht die Fortsetzung dieser Untersuchung uͤber die Mittelbegriffe vom Seyn und Haben, wodurch wir uns die Vergangenheit, und uͤber den Mittelbegriff des Werdens, wodurch wir uns die Zukunft denken.

Alsdenn folgt ein Aufsatz uͤber die Pronomina in psychologischer Ruͤcksicht, zu welchen ich hier noch einige Bemerkungen hinzufuͤgen will.

Es ist nehmlich sehr merkwuͤrdig, daß man sein ich nur außer sich denkt, sobald ein anders handelndes Wesen von außen her auf uns wirkt, und uns gleichsam unser Daseyn außer uns fuͤhlbar macht;

mich, dich, sich, sind nehmlich offenbar Zusammenziehungen aus mein ich, dein ich, sein ich — Nun fuͤhle ich einen Widerstand zu sagen: mein Jch oder mich sieht dich, sondern ich sage: ich sehe dich — Jndem mein Gedanke von mir selber ausgeht, kann ich mich unmoͤglich als Objekt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0054" n="52"/><lb/>
Vorstellungsart                   la&#x0364;ßt sich wohl am besten durch das besta&#x0364;ndige Streben nach etwas Zuku&#x0364;nftigen                   erkla&#x0364;ren, wovon wir die Jdeen zu <hi rendition="#b">haben</hi> wu&#x0364;nschen &#x2014; <hi rendition="#b">er hat gelebt</hi> heißt so viel: als <hi rendition="#b">er                      hat</hi> nun sein <hi rendition="#b">Leben vollsta&#x0364;ndig dahin, er darf nun                      nichts erwarten.</hi> &#x2014; Die <hi rendition="#b">Vollsta&#x0364;ndigkeit</hi> aber                   oder das <hi rendition="#b">Vollendete</hi> wird durch die Silbe <hi rendition="#b">ge</hi> bezeichnet, wie ich hinla&#x0364;nglich erwiesen zu haben glaube. </p>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Jm zweiten Stu&#x0364;ck des zweiten Bandes pag. 111 steht die                   Fortsetzung dieser Untersuchung u&#x0364;ber die Mittelbegriffe vom <hi rendition="#b">Seyn</hi> und <hi rendition="#b">Haben,</hi> wodurch wir uns die                   Vergangenheit, und u&#x0364;ber den Mittelbegriff des <hi rendition="#b">Werdens,</hi> wodurch wir uns die Zukunft denken. </p>
            <p>Alsdenn folgt ein Aufsatz u&#x0364;ber die Pronomina in psychologischer Ru&#x0364;cksicht, zu                   welchen ich hier noch einige Bemerkungen hinzufu&#x0364;gen will. </p>
            <p>Es ist nehmlich sehr merkwu&#x0364;rdig, daß man sein <hi rendition="#b">ich</hi> nur                   außer sich denkt, sobald ein anders handelndes Wesen von außen her auf uns wirkt,                   und uns gleichsam unser Daseyn außer uns fu&#x0364;hlbar macht; </p>
            <p><hi rendition="#b">mich, dich, sich,</hi> sind nehmlich offenbar                   Zusammenziehungen aus <hi rendition="#b">mein ich, dein ich, sein ich</hi> &#x2014; Nun                   fu&#x0364;hle ich einen Widerstand zu sagen: <hi rendition="#b">mein Jch</hi> oder <hi rendition="#b">mich sieht dich,</hi> sondern ich sage: <hi rendition="#b">ich                      sehe dich</hi> &#x2014; Jndem mein Gedanke von mir selber ausgeht, kann ich mich                   unmo&#x0364;glich als Objekt<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0054] Vorstellungsart laͤßt sich wohl am besten durch das bestaͤndige Streben nach etwas Zukuͤnftigen erklaͤren, wovon wir die Jdeen zu haben wuͤnschen — er hat gelebt heißt so viel: als er hat nun sein Leben vollstaͤndig dahin, er darf nun nichts erwarten. — Die Vollstaͤndigkeit aber oder das Vollendete wird durch die Silbe ge bezeichnet, wie ich hinlaͤnglich erwiesen zu haben glaube. Jm zweiten Stuͤck des zweiten Bandes pag. 111 steht die Fortsetzung dieser Untersuchung uͤber die Mittelbegriffe vom Seyn und Haben, wodurch wir uns die Vergangenheit, und uͤber den Mittelbegriff des Werdens, wodurch wir uns die Zukunft denken. Alsdenn folgt ein Aufsatz uͤber die Pronomina in psychologischer Ruͤcksicht, zu welchen ich hier noch einige Bemerkungen hinzufuͤgen will. Es ist nehmlich sehr merkwuͤrdig, daß man sein ich nur außer sich denkt, sobald ein anders handelndes Wesen von außen her auf uns wirkt, und uns gleichsam unser Daseyn außer uns fuͤhlbar macht; mich, dich, sich, sind nehmlich offenbar Zusammenziehungen aus mein ich, dein ich, sein ich — Nun fuͤhle ich einen Widerstand zu sagen: mein Jch oder mich sieht dich, sondern ich sage: ich sehe dich — Jndem mein Gedanke von mir selber ausgeht, kann ich mich unmoͤglich als Objekt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/54
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/54>, abgerufen am 27.11.2024.