Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.
Jm ersten Stück des ersten Bandes pag. 92 habe ich vorzüglich die unpersönlichen Verba in der Rücksicht betrachtet, wie sie gleichsam die Grenzlinien ziehen, zwischen dem, was wir uns als abhängig, und dem, was wir uns als unabhängig von unsrer thätigen Kraft denken. Und es kömmt doch sehr viel darauf an, diese Grenzlinien gehörig zu ziehen -- sobald wir ich denke in mich dünkt verwandeln, so lassen wir das Denken gleichsam über uns herrschen, wir lassen es nach seinem eignen Gange, den es nimmt, in uns vorgehen, ohne etwas zu seiner Richtung auf einen Gegenstand beizutragen. Die Seele entäußert sich eine Weile ihrer Jdeenlenkenden Kraft, sie läßt die neue Vorstellungen, ohne oder doch nur mit einer schwachen Gegenwirkung in sich überströmen, indem sie sagt, mich wundert, mich freuet, mich gereuet, u.s.w. Daher werden nun auch fast alle Leidenschaften durch die unpersönlichen Verba bezeichnet. Man getraut sich kaum sein Jch oder seine thätige vorstellende Kraft darbei zu nennen, so wenig fühlt man sie. -- Das, was man dunkel fühlt, hüllt man in das unbestimmte unpersönliche es ein.
Jm ersten Stuͤck des ersten Bandes pag. 92 habe ich vorzuͤglich die unpersoͤnlichen Verba in der Ruͤcksicht betrachtet, wie sie gleichsam die Grenzlinien ziehen, zwischen dem, was wir uns als abhaͤngig, und dem, was wir uns als unabhaͤngig von unsrer thaͤtigen Kraft denken. Und es koͤmmt doch sehr viel darauf an, diese Grenzlinien gehoͤrig zu ziehen — sobald wir ich denke in mich duͤnkt verwandeln, so lassen wir das Denken gleichsam uͤber uns herrschen, wir lassen es nach seinem eignen Gange, den es nimmt, in uns vorgehen, ohne etwas zu seiner Richtung auf einen Gegenstand beizutragen. Die Seele entaͤußert sich eine Weile ihrer Jdeenlenkenden Kraft, sie laͤßt die neue Vorstellungen, ohne oder doch nur mit einer schwachen Gegenwirkung in sich uͤberstroͤmen, indem sie sagt, mich wundert, mich freuet, mich gereuet, u.s.w. Daher werden nun auch fast alle Leidenschaften durch die unpersoͤnlichen Verba bezeichnet. Man getraut sich kaum sein Jch oder seine thaͤtige vorstellende Kraft darbei zu nennen, so wenig fuͤhlt man sie. — Das, was man dunkel fuͤhlt, huͤllt man in das unbestimmte unpersoͤnliche es ein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0048" n="46"/><lb/> vom <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0087"><note type="editorial">Bauer, Carl Ludwig</note>Herrn Rektor Bauer</persName> in Hirschberg</hi> ein wichtiger Aufsatz uͤber Sprache in psychologischer Ruͤcksicht. </p> <p>Jm ersten Stuͤck des ersten Bandes pag. 92 habe ich vorzuͤglich die <hi rendition="#b">unpersoͤnlichen Verba</hi> in der Ruͤcksicht betrachtet, wie sie gleichsam die Grenzlinien ziehen, zwischen dem, was wir uns als <hi rendition="#b">abhaͤngig,</hi> und dem, was wir uns als <hi rendition="#b">unabhaͤngig</hi> von unsrer thaͤtigen Kraft denken. </p> <p>Und es koͤmmt doch sehr viel darauf an, diese Grenzlinien gehoͤrig zu ziehen — sobald wir <hi rendition="#b">ich denke</hi> in <hi rendition="#b">mich duͤnkt</hi> verwandeln, so lassen wir das Denken gleichsam uͤber uns herrschen, wir lassen es nach seinem eignen Gange, den es nimmt, <hi rendition="#b">in uns vorgehen,</hi> ohne etwas zu seiner Richtung auf einen Gegenstand beizutragen. </p> <p>Die Seele entaͤußert sich eine Weile ihrer <hi rendition="#b">Jdeenlenkenden Kraft,</hi> sie laͤßt die neue Vorstellungen, ohne oder doch nur mit einer schwachen Gegenwirkung in sich uͤberstroͤmen, indem sie sagt, <hi rendition="#b">mich wundert, mich freuet, mich gereuet,</hi> u.s.w. </p> <p>Daher werden nun auch fast alle <hi rendition="#b">Leidenschaften</hi> durch die unpersoͤnlichen Verba bezeichnet. </p> <p>Man <hi rendition="#b">getraut sich kaum</hi> sein Jch oder seine thaͤtige vorstellende Kraft darbei zu nennen, so wenig fuͤhlt man sie. — Das, was man dunkel fuͤhlt, huͤllt man in das unbestimmte unpersoͤnliche <hi rendition="#b">es</hi> ein. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0048]
vom Herrn Rektor Bauer in Hirschberg ein wichtiger Aufsatz uͤber Sprache in psychologischer Ruͤcksicht.
Jm ersten Stuͤck des ersten Bandes pag. 92 habe ich vorzuͤglich die unpersoͤnlichen Verba in der Ruͤcksicht betrachtet, wie sie gleichsam die Grenzlinien ziehen, zwischen dem, was wir uns als abhaͤngig, und dem, was wir uns als unabhaͤngig von unsrer thaͤtigen Kraft denken.
Und es koͤmmt doch sehr viel darauf an, diese Grenzlinien gehoͤrig zu ziehen — sobald wir ich denke in mich duͤnkt verwandeln, so lassen wir das Denken gleichsam uͤber uns herrschen, wir lassen es nach seinem eignen Gange, den es nimmt, in uns vorgehen, ohne etwas zu seiner Richtung auf einen Gegenstand beizutragen.
Die Seele entaͤußert sich eine Weile ihrer Jdeenlenkenden Kraft, sie laͤßt die neue Vorstellungen, ohne oder doch nur mit einer schwachen Gegenwirkung in sich uͤberstroͤmen, indem sie sagt, mich wundert, mich freuet, mich gereuet, u.s.w.
Daher werden nun auch fast alle Leidenschaften durch die unpersoͤnlichen Verba bezeichnet.
Man getraut sich kaum sein Jch oder seine thaͤtige vorstellende Kraft darbei zu nennen, so wenig fuͤhlt man sie. — Das, was man dunkel fuͤhlt, huͤllt man in das unbestimmte unpersoͤnliche es ein.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/48>, abgerufen am 16.07.2024. |