Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.Allein dieß kann freilich nicht im mindesten die Absicht bei dem Studium der menschlichen Seele seyn. Es kommt hier drauf an, wie diesen Krankheiten abzuhelfen ist. -- Man soll ihren Quellen und Ursachen nachforschen; man soll untersuchen, wie sie aus der Aufhebung des Gleichgewichts zwischen den Seelenkräften entstehen, und wie dieß Gleichgewicht am besten wieder hergestellt werden könne. Ferner bemerke ich, daß die eingelaufenen Beiträge zur Seelenkrankheitskunde selbst, größtentheils auf Beschreibungen von verschiedenen Aeußerungen des Wahnwitzes hinauslaufen. Freilich ist der Wahnwitz wohl eine Krankheit der Seele, indem ich mir unter derselben die vorstellende Kraft denke, welche durch den Wahnwitz am meisten leidet; aber er ist doch bei weitem nicht die einzige Krankheit derselben. Es giebt deren unzählige, welche oft freilich nahe genug an Wahnwitz grenzen, aber weil man sie nicht dafür ausgegeben wissen will, das menschliche Leben oft gerade am meisten verbittern. Es scheint als habe man sich durch den Ausdruck Gemüthskrankheit täuschen lassen, womit man im gemeinen Leben, was ich Seelenkrankheit nenne, zu bezeichnen pflegt, und immer eine Art von Wahnwitz oder Melancholie darunter versteht. Man hat sich noch nicht daran gewöhnt, den Geitz, die Verschwendung, die Spielsucht, den Allein dieß kann freilich nicht im mindesten die Absicht bei dem Studium der menschlichen Seele seyn. Es kommt hier drauf an, wie diesen Krankheiten abzuhelfen ist. — Man soll ihren Quellen und Ursachen nachforschen; man soll untersuchen, wie sie aus der Aufhebung des Gleichgewichts zwischen den Seelenkraͤften entstehen, und wie dieß Gleichgewicht am besten wieder hergestellt werden koͤnne. Ferner bemerke ich, daß die eingelaufenen Beitraͤge zur Seelenkrankheitskunde selbst, groͤßtentheils auf Beschreibungen von verschiedenen Aeußerungen des Wahnwitzes hinauslaufen. Freilich ist der Wahnwitz wohl eine Krankheit der Seele, indem ich mir unter derselben die vorstellende Kraft denke, welche durch den Wahnwitz am meisten leidet; aber er ist doch bei weitem nicht die einzige Krankheit derselben. Es giebt deren unzaͤhlige, welche oft freilich nahe genug an Wahnwitz grenzen, aber weil man sie nicht dafuͤr ausgegeben wissen will, das menschliche Leben oft gerade am meisten verbittern. Es scheint als habe man sich durch den Ausdruck Gemuͤthskrankheit taͤuschen lassen, womit man im gemeinen Leben, was ich Seelenkrankheit nenne, zu bezeichnen pflegt, und immer eine Art von Wahnwitz oder Melancholie darunter versteht. Man hat sich noch nicht daran gewoͤhnt, den Geitz, die Verschwendung, die Spielsucht, den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0004" n="2"/><lb/> <p>Allein dieß kann freilich nicht im mindesten die Absicht bei dem Studium der menschlichen Seele seyn. Es kommt hier drauf an, wie diesen Krankheiten abzuhelfen ist. — Man soll ihren Quellen und Ursachen nachforschen; man soll untersuchen, wie sie aus der Aufhebung des Gleichgewichts zwischen den Seelenkraͤften entstehen, und wie dieß Gleichgewicht am besten wieder hergestellt werden koͤnne. </p> <p>Ferner bemerke ich, daß die eingelaufenen Beitraͤge zur Seelenkrankheitskunde selbst, groͤßtentheils auf Beschreibungen von verschiedenen Aeußerungen des Wahnwitzes hinauslaufen. Freilich ist der Wahnwitz wohl eine Krankheit der Seele, indem ich mir unter derselben die vorstellende Kraft denke, welche durch den Wahnwitz am meisten leidet; aber er ist doch bei weitem nicht die einzige Krankheit derselben. Es giebt deren unzaͤhlige, welche oft freilich nahe genug an Wahnwitz grenzen, aber weil man sie nicht dafuͤr ausgegeben wissen will, das menschliche Leben oft gerade am meisten verbittern. </p> <p>Es scheint als habe man sich durch den Ausdruck <hi rendition="#b">Gemuͤthskrankheit</hi> taͤuschen lassen, womit man im gemeinen Leben, was ich Seelenkrankheit nenne, zu bezeichnen pflegt, und immer eine Art von Wahnwitz oder Melancholie darunter versteht. </p> <p>Man hat sich noch nicht daran gewoͤhnt, den Geitz, die Verschwendung, die Spielsucht, den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0004]
Allein dieß kann freilich nicht im mindesten die Absicht bei dem Studium der menschlichen Seele seyn. Es kommt hier drauf an, wie diesen Krankheiten abzuhelfen ist. — Man soll ihren Quellen und Ursachen nachforschen; man soll untersuchen, wie sie aus der Aufhebung des Gleichgewichts zwischen den Seelenkraͤften entstehen, und wie dieß Gleichgewicht am besten wieder hergestellt werden koͤnne.
Ferner bemerke ich, daß die eingelaufenen Beitraͤge zur Seelenkrankheitskunde selbst, groͤßtentheils auf Beschreibungen von verschiedenen Aeußerungen des Wahnwitzes hinauslaufen. Freilich ist der Wahnwitz wohl eine Krankheit der Seele, indem ich mir unter derselben die vorstellende Kraft denke, welche durch den Wahnwitz am meisten leidet; aber er ist doch bei weitem nicht die einzige Krankheit derselben. Es giebt deren unzaͤhlige, welche oft freilich nahe genug an Wahnwitz grenzen, aber weil man sie nicht dafuͤr ausgegeben wissen will, das menschliche Leben oft gerade am meisten verbittern.
Es scheint als habe man sich durch den Ausdruck Gemuͤthskrankheit taͤuschen lassen, womit man im gemeinen Leben, was ich Seelenkrankheit nenne, zu bezeichnen pflegt, und immer eine Art von Wahnwitz oder Melancholie darunter versteht.
Man hat sich noch nicht daran gewoͤhnt, den Geitz, die Verschwendung, die Spielsucht, den
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/4>, abgerufen am 16.07.2024. |