Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.
Sie hätte müssen aus ihrer Verbindung eine Zeitlang herausgerissen werden, um mit vernünftigen und aufgeklärten Leuten Umgang zu haben; dann wäre ihr vielleicht zu helfen gewesen. Man sieht auch hier, daß die überspannte schwärmerische Phantasie, welche von Kindheit auf bei ihr genährt war, und in die ihr Mann seinem Temperamente nach, gar nicht mit einstimmen konnte, die vorzüglichste Ursach zum Lebensüberdruß bei ihr gewesen ist. -- Wie eckel mußte ihr eine Welt werden, wo im nächsten Cirkel, der sie umgab, ihr alles so kalt, so untheilnehmend, so unempfindlich schien. Unter der Ueberschrift: ein neuer Werther, steht noch im zweiten Stück des dritten Bandes pag. 115 ein Beispiel des Lebensüberdrusses, welcher vermuthlich in einer lächerlichen Eitelkeit des jungen Menschen, der sich erschoß, gegründet war. -- Denn er hatte alles so eingerichtet, daß der Selbstmord recht brillant werden sollte. Er hatte sich noch vorher balbiert, einen neuen Zopf gemacht, und sich rein angezogen; dann hatte er Werthers Leiden pag. 218 aufgeschlagen auf den Tisch vor sich hingelegt. Er wollte aber auch die That nicht ohne Zeugen verrichten, sondern da man des Morgens seine
Sie haͤtte muͤssen aus ihrer Verbindung eine Zeitlang herausgerissen werden, um mit vernuͤnftigen und aufgeklaͤrten Leuten Umgang zu haben; dann waͤre ihr vielleicht zu helfen gewesen. Man sieht auch hier, daß die uͤberspannte schwaͤrmerische Phantasie, welche von Kindheit auf bei ihr genaͤhrt war, und in die ihr Mann seinem Temperamente nach, gar nicht mit einstimmen konnte, die vorzuͤglichste Ursach zum Lebensuͤberdruß bei ihr gewesen ist. — Wie eckel mußte ihr eine Welt werden, wo im naͤchsten Cirkel, der sie umgab, ihr alles so kalt, so untheilnehmend, so unempfindlich schien. Unter der Ueberschrift: ein neuer Werther, steht noch im zweiten Stuͤck des dritten Bandes pag. 115 ein Beispiel des Lebensuͤberdrusses, welcher vermuthlich in einer laͤcherlichen Eitelkeit des jungen Menschen, der sich erschoß, gegruͤndet war. — Denn er hatte alles so eingerichtet, daß der Selbstmord recht brillant werden sollte. Er hatte sich noch vorher balbiert, einen neuen Zopf gemacht, und sich rein angezogen; dann hatte er Werthers Leiden pag. 218 aufgeschlagen auf den Tisch vor sich hingelegt. Er wollte aber auch die That nicht ohne Zeugen verrichten, sondern da man des Morgens seine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0033" n="31"/><lb/> genug hatten, sich in die abwechselnden Launen einer eigensinnigen nervenkranken Person zu schicken. </p> <p>Sie haͤtte muͤssen aus ihrer Verbindung eine Zeitlang herausgerissen werden, um mit vernuͤnftigen und aufgeklaͤrten Leuten Umgang zu haben; dann waͤre ihr vielleicht zu helfen gewesen. </p> <p>Man sieht auch hier, daß die <hi rendition="#b">uͤberspannte schwaͤrmerische Phantasie,</hi> welche von Kindheit auf bei ihr genaͤhrt war, und in die ihr Mann seinem Temperamente nach, gar nicht mit einstimmen konnte, die vorzuͤglichste Ursach zum Lebensuͤberdruß bei ihr gewesen ist. — Wie eckel mußte ihr eine Welt werden, wo im naͤchsten Cirkel, der sie umgab, ihr alles so kalt, so untheilnehmend, so unempfindlich schien. </p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Unter der Ueberschrift: <hi rendition="#b">ein neuer Werther,</hi> steht noch im zweiten Stuͤck des dritten Bandes pag. 115 ein Beispiel des <hi rendition="#b">Lebensuͤberdrusses,</hi> welcher vermuthlich in einer laͤcherlichen <hi rendition="#b">Eitelkeit</hi> des jungen Menschen, der sich erschoß, gegruͤndet war. — </p> <p>Denn er hatte alles so eingerichtet, daß der Selbstmord recht <hi rendition="#b">brillant</hi> werden sollte. Er hatte sich noch vorher balbiert, einen neuen Zopf gemacht, und sich rein angezogen; dann hatte er Werthers Leiden pag. 218 aufgeschlagen auf den Tisch vor sich hingelegt. </p> <p>Er wollte aber auch die That nicht ohne Zeugen verrichten, sondern da man des Morgens seine<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0033]
genug hatten, sich in die abwechselnden Launen einer eigensinnigen nervenkranken Person zu schicken.
Sie haͤtte muͤssen aus ihrer Verbindung eine Zeitlang herausgerissen werden, um mit vernuͤnftigen und aufgeklaͤrten Leuten Umgang zu haben; dann waͤre ihr vielleicht zu helfen gewesen.
Man sieht auch hier, daß die uͤberspannte schwaͤrmerische Phantasie, welche von Kindheit auf bei ihr genaͤhrt war, und in die ihr Mann seinem Temperamente nach, gar nicht mit einstimmen konnte, die vorzuͤglichste Ursach zum Lebensuͤberdruß bei ihr gewesen ist. — Wie eckel mußte ihr eine Welt werden, wo im naͤchsten Cirkel, der sie umgab, ihr alles so kalt, so untheilnehmend, so unempfindlich schien.
Unter der Ueberschrift: ein neuer Werther, steht noch im zweiten Stuͤck des dritten Bandes pag. 115 ein Beispiel des Lebensuͤberdrusses, welcher vermuthlich in einer laͤcherlichen Eitelkeit des jungen Menschen, der sich erschoß, gegruͤndet war. —
Denn er hatte alles so eingerichtet, daß der Selbstmord recht brillant werden sollte. Er hatte sich noch vorher balbiert, einen neuen Zopf gemacht, und sich rein angezogen; dann hatte er Werthers Leiden pag. 218 aufgeschlagen auf den Tisch vor sich hingelegt.
Er wollte aber auch die That nicht ohne Zeugen verrichten, sondern da man des Morgens seine
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