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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Sinne verdunkeln, und uns Dinge als gegenwärtig darstellen, die nie existirt haben. Was sieht nicht alles der im hitzigen Fieber Liegende, und der Wahnwitzige in seiner Phantasie! Der Schwärmer liegt gewissermaßen auch an einem dieser Uebel krank, ohne daß er es weiß und glaubt. Die so lebhafte Art zu denken und zu empfinden, die allen Schwärmern eigen ist; das immerwährende Bemühen, die Seele mit Bildern aus der Geisterwelt zu unterhalten, und geflissentlich von der äußern Welt zurück, und in sich selbst zu kehren; das ängstliche Auflauren auf den Kampf unserer sinnlichen Natur mit göttlichen sich eingebildeten in uns wohnenden Kräften; die seltsame Anstrengung unserer Natur, unsere Sinnlichkeit durch fromme Bilder der Phantasie zu verscheuchen -- alles dies muß über kurz oder lang in der Seele des Schwärmers Gefühle erzeugen, die er in dem noch gesunden Zustande seiner Seele nie gehabt hat; die er nun aber, da sie ihm unmittelbar in den Augenblicken, wenn er sich mit der Gottheit beschäftigt, aus dieser Beschäftigung zu entstehen scheinen, wegen ihrer ganz besondern Lebhaftigkeit für Eingebungen der Gottheit hält, so leicht sie sich auch aus der Natur der menschlichen Seele und des Körpers -- freilich als Krankheiten und Auswüchse unserer Phantasie, mögen erklären lassen. Wer erst glauben kann, daß die Gottheit mit ihm in einem so genauen Umgange stehe, daß sie auf ihn besonders influire,


Sinne verdunkeln, und uns Dinge als gegenwaͤrtig darstellen, die nie existirt haben. Was sieht nicht alles der im hitzigen Fieber Liegende, und der Wahnwitzige in seiner Phantasie! Der Schwaͤrmer liegt gewissermaßen auch an einem dieser Uebel krank, ohne daß er es weiß und glaubt. Die so lebhafte Art zu denken und zu empfinden, die allen Schwaͤrmern eigen ist; das immerwaͤhrende Bemuͤhen, die Seele mit Bildern aus der Geisterwelt zu unterhalten, und geflissentlich von der aͤußern Welt zuruͤck, und in sich selbst zu kehren; das aͤngstliche Auflauren auf den Kampf unserer sinnlichen Natur mit goͤttlichen sich eingebildeten in uns wohnenden Kraͤften; die seltsame Anstrengung unserer Natur, unsere Sinnlichkeit durch fromme Bilder der Phantasie zu verscheuchen — alles dies muß uͤber kurz oder lang in der Seele des Schwaͤrmers Gefuͤhle erzeugen, die er in dem noch gesunden Zustande seiner Seele nie gehabt hat; die er nun aber, da sie ihm unmittelbar in den Augenblicken, wenn er sich mit der Gottheit beschaͤftigt, aus dieser Beschaͤftigung zu entstehen scheinen, wegen ihrer ganz besondern Lebhaftigkeit fuͤr Eingebungen der Gottheit haͤlt, so leicht sie sich auch aus der Natur der menschlichen Seele und des Koͤrpers — freilich als Krankheiten und Auswuͤchse unserer Phantasie, moͤgen erklaͤren lassen. Wer erst glauben kann, daß die Gottheit mit ihm in einem so genauen Umgange stehe, daß sie auf ihn besonders influire,

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[98/0098] Sinne verdunkeln, und uns Dinge als gegenwaͤrtig darstellen, die nie existirt haben. Was sieht nicht alles der im hitzigen Fieber Liegende, und der Wahnwitzige in seiner Phantasie! Der Schwaͤrmer liegt gewissermaßen auch an einem dieser Uebel krank, ohne daß er es weiß und glaubt. Die so lebhafte Art zu denken und zu empfinden, die allen Schwaͤrmern eigen ist; das immerwaͤhrende Bemuͤhen, die Seele mit Bildern aus der Geisterwelt zu unterhalten, und geflissentlich von der aͤußern Welt zuruͤck, und in sich selbst zu kehren; das aͤngstliche Auflauren auf den Kampf unserer sinnlichen Natur mit goͤttlichen sich eingebildeten in uns wohnenden Kraͤften; die seltsame Anstrengung unserer Natur, unsere Sinnlichkeit durch fromme Bilder der Phantasie zu verscheuchen — alles dies muß uͤber kurz oder lang in der Seele des Schwaͤrmers Gefuͤhle erzeugen, die er in dem noch gesunden Zustande seiner Seele nie gehabt hat; die er nun aber, da sie ihm unmittelbar in den Augenblicken, wenn er sich mit der Gottheit beschaͤftigt, aus dieser Beschaͤftigung zu entstehen scheinen, wegen ihrer ganz besondern Lebhaftigkeit fuͤr Eingebungen der Gottheit haͤlt, so leicht sie sich auch aus der Natur der menschlichen Seele und des Koͤrpers — freilich als Krankheiten und Auswuͤchse unserer Phantasie, moͤgen erklaͤren lassen. Wer erst glauben kann, daß die Gottheit mit ihm in einem so genauen Umgange stehe, daß sie auf ihn besonders influire,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/98>, abgerufen am 22.11.2024.