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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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davon freisprechen wollte. Es ist eine sehr richtige Bemerkung eines großen Kenners des menschlichen Herzens, daß sich Stolz, wenn er kein anderes Mittel mehr wisse, um sich der Welt zu zeigen, in freiwilliger Erniedrigung und Demüthigung nähre. Bemühen, keinen Stolz zu zeigen, ist also an sich schon ein sehr hoher Grad von Ruhmsucht, indem man die Welt überreden will, daß man -- was unter tausenden so wenige können, -- über die mächtigste Neigung des menschlichen Herzens Herr werden kann, und ich nehme mir die Freiheit zu behaupten, daß geheimer geistlicher Stolz, um das Ding bei seinem rechten Namen zu nennen, die meisten Wunderthäter zu Wunderthätern gemacht habe, und daß der stolze Gedanke, besondere Vertraute der Gottheit zu seyn, ihrer Einbildungskraft alle die listigen Kunstgriffe erfinden half, wodurch sie sich so glücklich in ihrem Ansehn, wenigstens bei der größern Menge zu erhalten gewußt haben.

Aber wie mögen die Schwärmer auf die Jdee einer ihnen beiwohnenden Wunderkraft gekommen seyn? Auf eine sehr natürliche Art, und gewissermaßen auch auf einerlei Wege ihrer Vorstellungen. Unsere Phantasie kann mit uns machen was sie will, wenn der ihr so nöthige Führer, die gesunde Vernunft, erst von seinem Posten vertrieben worden ist. Jhre Gefühle können leicht eine solche Gewalt über uns bekommen, daß sie die Empfindungen der


davon freisprechen wollte. Es ist eine sehr richtige Bemerkung eines großen Kenners des menschlichen Herzens, daß sich Stolz, wenn er kein anderes Mittel mehr wisse, um sich der Welt zu zeigen, in freiwilliger Erniedrigung und Demuͤthigung naͤhre. Bemuͤhen, keinen Stolz zu zeigen, ist also an sich schon ein sehr hoher Grad von Ruhmsucht, indem man die Welt uͤberreden will, daß man — was unter tausenden so wenige koͤnnen, — uͤber die maͤchtigste Neigung des menschlichen Herzens Herr werden kann, und ich nehme mir die Freiheit zu behaupten, daß geheimer geistlicher Stolz, um das Ding bei seinem rechten Namen zu nennen, die meisten Wunderthaͤter zu Wunderthaͤtern gemacht habe, und daß der stolze Gedanke, besondere Vertraute der Gottheit zu seyn, ihrer Einbildungskraft alle die listigen Kunstgriffe erfinden half, wodurch sie sich so gluͤcklich in ihrem Ansehn, wenigstens bei der groͤßern Menge zu erhalten gewußt haben.

Aber wie moͤgen die Schwaͤrmer auf die Jdee einer ihnen beiwohnenden Wunderkraft gekommen seyn? Auf eine sehr natuͤrliche Art, und gewissermaßen auch auf einerlei Wege ihrer Vorstellungen. Unsere Phantasie kann mit uns machen was sie will, wenn der ihr so noͤthige Fuͤhrer, die gesunde Vernunft, erst von seinem Posten vertrieben worden ist. Jhre Gefuͤhle koͤnnen leicht eine solche Gewalt uͤber uns bekommen, daß sie die Empfindungen der

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[97/0097] davon freisprechen wollte. Es ist eine sehr richtige Bemerkung eines großen Kenners des menschlichen Herzens, daß sich Stolz, wenn er kein anderes Mittel mehr wisse, um sich der Welt zu zeigen, in freiwilliger Erniedrigung und Demuͤthigung naͤhre. Bemuͤhen, keinen Stolz zu zeigen, ist also an sich schon ein sehr hoher Grad von Ruhmsucht, indem man die Welt uͤberreden will, daß man — was unter tausenden so wenige koͤnnen, — uͤber die maͤchtigste Neigung des menschlichen Herzens Herr werden kann, und ich nehme mir die Freiheit zu behaupten, daß geheimer geistlicher Stolz, um das Ding bei seinem rechten Namen zu nennen, die meisten Wunderthaͤter zu Wunderthaͤtern gemacht habe, und daß der stolze Gedanke, besondere Vertraute der Gottheit zu seyn, ihrer Einbildungskraft alle die listigen Kunstgriffe erfinden half, wodurch sie sich so gluͤcklich in ihrem Ansehn, wenigstens bei der groͤßern Menge zu erhalten gewußt haben. Aber wie moͤgen die Schwaͤrmer auf die Jdee einer ihnen beiwohnenden Wunderkraft gekommen seyn? Auf eine sehr natuͤrliche Art, und gewissermaßen auch auf einerlei Wege ihrer Vorstellungen. Unsere Phantasie kann mit uns machen was sie will, wenn der ihr so noͤthige Fuͤhrer, die gesunde Vernunft, erst von seinem Posten vertrieben worden ist. Jhre Gefuͤhle koͤnnen leicht eine solche Gewalt uͤber uns bekommen, daß sie die Empfindungen der

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/97>, abgerufen am 24.11.2024.