Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Ein hoher stehender Körper macht auf uns einen grössern Eindruck, als wenn er liegt. Die Verschiedenheit dieser Vorstellungen, die von der verschiedenen Lage eines Körpers entsteht, scheint daher zu kommen, daß wir einen aufgerichteten hohen Gegenstand nicht so genau von allen Seiten nach seiner relativen Grosse betrachten können, als wenn er liegt, und eben deswegen mit den um ihn stehenden Dingen leichter und nach einem sicherern Augenmasse verglichen werden kann. Ueberdem ist mit der Vorstellung der Höhe eines erhabnen Gegenstandes noch der Nebenbegrif verbunden, der jene Vorstellung vergrößern hilft -- nehmlich der Nebenbegrif der erstaunlichen Kraft, die dazu gehört hat, einen solchen hohen Körper aufzurichten. Aus eben diesem Grunde macht schon die Vorstellung einer schiefliegenden Fläche einen grössern
Ein hoher stehender Koͤrper macht auf uns einen groͤssern Eindruck, als wenn er liegt. Die Verschiedenheit dieser Vorstellungen, die von der verschiedenen Lage eines Koͤrpers entsteht, scheint daher zu kommen, daß wir einen aufgerichteten hohen Gegenstand nicht so genau von allen Seiten nach seiner relativen Grosse betrachten koͤnnen, als wenn er liegt, und eben deswegen mit den um ihn stehenden Dingen leichter und nach einem sicherern Augenmasse verglichen werden kann. Ueberdem ist mit der Vorstellung der Hoͤhe eines erhabnen Gegenstandes noch der Nebenbegrif verbunden, der jene Vorstellung vergroͤßern hilft — nehmlich der Nebenbegrif der erstaunlichen Kraft, die dazu gehoͤrt hat, einen solchen hohen Koͤrper aufzurichten. Aus eben diesem Grunde macht schon die Vorstellung einer schiefliegenden Flaͤche einen groͤssern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0060" n="60"/><lb/> daher man sich auch gemeiniglich mit einer unnoͤthigen Festigkeit an die Stangen der Gallerie anhaͤlt, oder sich am Rande des Abgrunds zur Erde wirft, um sich dadurch mehrere Sicherheit zu verschaffen. Jn dem Augenblicke daß uns aber unsere furchtsame Phantasie auf den Gedanken bringt, daß wir der Gefahr nicht entgehen koͤnnten — regt sich zugleich in uns der Wunsch dieses Ungluͤck <hi rendition="#b">so geschwind</hi> als <hi rendition="#b">moͤglich</hi> zu uͤberstehen, und dieses ist eben der Drang, welchen wir durch unsere Phantasie getaͤuscht, in uns zum Hinabstuͤrzen fuͤhlen. — </p> <p>Ein <hi rendition="#b">hoher stehender</hi> Koͤrper macht auf uns einen groͤssern Eindruck, als wenn er liegt. Die Verschiedenheit dieser Vorstellungen, die von der verschiedenen Lage eines Koͤrpers entsteht, scheint daher zu kommen, daß wir einen aufgerichteten hohen Gegenstand nicht so genau von allen Seiten nach seiner <hi rendition="#b">relativen</hi> Grosse betrachten koͤnnen, als wenn er liegt, und eben deswegen mit den um ihn stehenden Dingen leichter und nach einem sicherern Augenmasse verglichen werden kann. Ueberdem ist mit der Vorstellung der Hoͤhe eines erhabnen Gegenstandes noch der Nebenbegrif verbunden, der jene Vorstellung vergroͤßern hilft — nehmlich der Nebenbegrif der erstaunlichen <hi rendition="#b">Kraft,</hi> die dazu gehoͤrt hat, einen solchen hohen Koͤrper aufzurichten. Aus eben diesem Grunde macht schon die Vorstellung einer <hi rendition="#b">schiefliegenden</hi> Flaͤche einen groͤssern<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0060]
daher man sich auch gemeiniglich mit einer unnoͤthigen Festigkeit an die Stangen der Gallerie anhaͤlt, oder sich am Rande des Abgrunds zur Erde wirft, um sich dadurch mehrere Sicherheit zu verschaffen. Jn dem Augenblicke daß uns aber unsere furchtsame Phantasie auf den Gedanken bringt, daß wir der Gefahr nicht entgehen koͤnnten — regt sich zugleich in uns der Wunsch dieses Ungluͤck so geschwind als moͤglich zu uͤberstehen, und dieses ist eben der Drang, welchen wir durch unsere Phantasie getaͤuscht, in uns zum Hinabstuͤrzen fuͤhlen. —
Ein hoher stehender Koͤrper macht auf uns einen groͤssern Eindruck, als wenn er liegt. Die Verschiedenheit dieser Vorstellungen, die von der verschiedenen Lage eines Koͤrpers entsteht, scheint daher zu kommen, daß wir einen aufgerichteten hohen Gegenstand nicht so genau von allen Seiten nach seiner relativen Grosse betrachten koͤnnen, als wenn er liegt, und eben deswegen mit den um ihn stehenden Dingen leichter und nach einem sicherern Augenmasse verglichen werden kann. Ueberdem ist mit der Vorstellung der Hoͤhe eines erhabnen Gegenstandes noch der Nebenbegrif verbunden, der jene Vorstellung vergroͤßern hilft — nehmlich der Nebenbegrif der erstaunlichen Kraft, die dazu gehoͤrt hat, einen solchen hohen Koͤrper aufzurichten. Aus eben diesem Grunde macht schon die Vorstellung einer schiefliegenden Flaͤche einen groͤssern
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/60 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/60>, abgerufen am 18.07.2024. |