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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Durch die schlechte Lebensart des Vaters war endlich das Haus so mit Schulden beschwert worden, daß es verkauft werden mußte. Man hatte für den Sohn die Fürsorge gehabt, ihn auf Lebenszeit eine freye Wohnung auszumachen; die er der Mutter überließ, und auswärts als Beckergesell in Dienst ging. Seiner Geschicklichkeit und seines Fleißes wegen, fand er, wo er hinkam, bald Arbeit; war auch den ganzen siebenjährigen Krieg hindurch preußischer Feldbecker. Man schrieb es ihm auf, was er machen sollte. Was er erübrigen konnte, schickte er seiner Mutter, und als er erfuhr, daß sie krank sey, kam er zu ihr, verließ ihr Bette Tag und Nacht nicht, und verpflegte sie aufs sorgfältigste. Als sie gestorben war, ließ er sie ihrem Stande gemäß, doch sehr anständig begraben, und beweinte ihren Tod so herzlich, als wenn ihm dadurch ein grosses Unglück wiederfahren sey, und klagte, daß nun auf dieser Welt kein Herz mehr sey, daß es so redlich mit ihm meine, als es seine Mutter gehabt hätte.

Ernestine Christiane Reiske.

II. Erinnerungen, aus den ersten Jahren der Kindheit.

Wenn ich in die ersten Jahre meiner Kindheit zurückgehe, so finde ich, daß ich mich vieler da-


Durch die schlechte Lebensart des Vaters war endlich das Haus so mit Schulden beschwert worden, daß es verkauft werden mußte. Man hatte fuͤr den Sohn die Fuͤrsorge gehabt, ihn auf Lebenszeit eine freye Wohnung auszumachen; die er der Mutter uͤberließ, und auswaͤrts als Beckergesell in Dienst ging. Seiner Geschicklichkeit und seines Fleißes wegen, fand er, wo er hinkam, bald Arbeit; war auch den ganzen siebenjaͤhrigen Krieg hindurch preußischer Feldbecker. Man schrieb es ihm auf, was er machen sollte. Was er eruͤbrigen konnte, schickte er seiner Mutter, und als er erfuhr, daß sie krank sey, kam er zu ihr, verließ ihr Bette Tag und Nacht nicht, und verpflegte sie aufs sorgfaͤltigste. Als sie gestorben war, ließ er sie ihrem Stande gemaͤß, doch sehr anstaͤndig begraben, und beweinte ihren Tod so herzlich, als wenn ihm dadurch ein grosses Ungluͤck wiederfahren sey, und klagte, daß nun auf dieser Welt kein Herz mehr sey, daß es so redlich mit ihm meine, als es seine Mutter gehabt haͤtte.

Ernestine Christiane Reiske.

II. Erinnerungen, aus den ersten Jahren der Kindheit.

Wenn ich in die ersten Jahre meiner Kindheit zuruͤckgehe, so finde ich, daß ich mich vieler da-

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[42/0042] Durch die schlechte Lebensart des Vaters war endlich das Haus so mit Schulden beschwert worden, daß es verkauft werden mußte. Man hatte fuͤr den Sohn die Fuͤrsorge gehabt, ihn auf Lebenszeit eine freye Wohnung auszumachen; die er der Mutter uͤberließ, und auswaͤrts als Beckergesell in Dienst ging. Seiner Geschicklichkeit und seines Fleißes wegen, fand er, wo er hinkam, bald Arbeit; war auch den ganzen siebenjaͤhrigen Krieg hindurch preußischer Feldbecker. Man schrieb es ihm auf, was er machen sollte. Was er eruͤbrigen konnte, schickte er seiner Mutter, und als er erfuhr, daß sie krank sey, kam er zu ihr, verließ ihr Bette Tag und Nacht nicht, und verpflegte sie aufs sorgfaͤltigste. Als sie gestorben war, ließ er sie ihrem Stande gemaͤß, doch sehr anstaͤndig begraben, und beweinte ihren Tod so herzlich, als wenn ihm dadurch ein grosses Ungluͤck wiederfahren sey, und klagte, daß nun auf dieser Welt kein Herz mehr sey, daß es so redlich mit ihm meine, als es seine Mutter gehabt haͤtte. Ernestine Christiane Reiske. II. Erinnerungen, aus den ersten Jahren der Kindheit. Wenn ich in die ersten Jahre meiner Kindheit zuruͤckgehe, so finde ich, daß ich mich vieler da-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/42>, abgerufen am 24.11.2024.