Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Ungefehr ein Jahr lang, mochte er im väterlichen Hause gelebt haben, als er den Zufall bekam, daß er oft einige Minuten lang, nicht wußte, was er that. Wenn er des Nachmittags in Gesellschaft war, stand er zuweilen, ehe man es sich versahe, mit den Worten, vom Stuhle auf: Es ist Zeit, daß man zu Bette geht! und fing an sich auszukleiden. Doch bald kam er wieder zu sich, und nahm beschämt und traurig Abschied. Nun grämte er sich, daß der Superintendent Bedenken trug, ihn ferner predigen zu lassen; der es doch endlich, auf sein flehendliches Bitten und Versichern, er habe den Zufall eine Zeitlang nicht gehabt, noch einmal geschehen ließ. Er brachte zwar die Predigt glücklich zu Ende, da er aber die Abkündigungen herlesen sollte, überfiel ihn die Krankheit, die doch schon wieder vorbei war, als ihn der Küster von der Kanzel führen wollte; so daß er allein herunter gieng, weil der Cantor den Gesang schon angefangen hatte. Da er nun nicht mehr predigen durfte, vermehrte sich seine Niedergeschlagenheit täglich, und sein Verstand ward zusehends schwächer. Er quälte sich mit der Vorstellung, daß man ihn sehr hasse, und aller Laster schuld gäbe. Z.B. so oft ein uneheliches Kind zur Welt kam, grämte er sich, daß man ihn im Verdacht haben möchte, er sey der Vater dazu. Zuweilen hörte er eine Stimme vom Ungefehr ein Jahr lang, mochte er im vaͤterlichen Hause gelebt haben, als er den Zufall bekam, daß er oft einige Minuten lang, nicht wußte, was er that. Wenn er des Nachmittags in Gesellschaft war, stand er zuweilen, ehe man es sich versahe, mit den Worten, vom Stuhle auf: Es ist Zeit, daß man zu Bette geht! und fing an sich auszukleiden. Doch bald kam er wieder zu sich, und nahm beschaͤmt und traurig Abschied. Nun graͤmte er sich, daß der Superintendent Bedenken trug, ihn ferner predigen zu lassen; der es doch endlich, auf sein flehendliches Bitten und Versichern, er habe den Zufall eine Zeitlang nicht gehabt, noch einmal geschehen ließ. Er brachte zwar die Predigt gluͤcklich zu Ende, da er aber die Abkuͤndigungen herlesen sollte, uͤberfiel ihn die Krankheit, die doch schon wieder vorbei war, als ihn der Kuͤster von der Kanzel fuͤhren wollte; so daß er allein herunter gieng, weil der Cantor den Gesang schon angefangen hatte. Da er nun nicht mehr predigen durfte, vermehrte sich seine Niedergeschlagenheit taͤglich, und sein Verstand ward zusehends schwaͤcher. Er quaͤlte sich mit der Vorstellung, daß man ihn sehr hasse, und aller Laster schuld gaͤbe. Z.B. so oft ein uneheliches Kind zur Welt kam, graͤmte er sich, daß man ihn im Verdacht haben moͤchte, er sey der Vater dazu. Zuweilen hoͤrte er eine Stimme vom <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0035" n="35"/><lb/> <p>Ungefehr ein Jahr lang, mochte er im vaͤterlichen Hause gelebt haben, als er den Zufall bekam, daß er oft einige Minuten lang, nicht wußte, was er that. </p> <p>Wenn er des Nachmittags in Gesellschaft war, stand er zuweilen, ehe man es sich versahe, mit den Worten, vom Stuhle auf: Es ist Zeit, daß man zu Bette geht! und fing an sich auszukleiden. Doch bald kam er wieder zu sich, und nahm beschaͤmt und traurig Abschied. </p> <p>Nun graͤmte er sich, daß der Superintendent Bedenken trug, ihn ferner predigen zu lassen; der es doch endlich, auf sein flehendliches Bitten und Versichern, er habe den Zufall eine Zeitlang nicht gehabt, noch einmal geschehen ließ. Er brachte zwar die Predigt gluͤcklich zu Ende, da er aber die Abkuͤndigungen herlesen sollte, uͤberfiel ihn die Krankheit, die doch schon wieder vorbei war, als ihn der Kuͤster von der Kanzel fuͤhren wollte; so daß er allein herunter gieng, weil der Cantor den Gesang schon angefangen hatte. </p> <p>Da er nun nicht mehr predigen durfte, vermehrte sich seine Niedergeschlagenheit taͤglich, und sein Verstand ward zusehends schwaͤcher. Er quaͤlte sich mit der Vorstellung, daß man ihn sehr hasse, und aller Laster schuld gaͤbe. Z.B. so oft ein uneheliches Kind zur Welt kam, graͤmte er sich, daß man ihn im Verdacht haben moͤchte, er sey der Vater dazu. Zuweilen hoͤrte er eine Stimme vom<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0035]
Ungefehr ein Jahr lang, mochte er im vaͤterlichen Hause gelebt haben, als er den Zufall bekam, daß er oft einige Minuten lang, nicht wußte, was er that.
Wenn er des Nachmittags in Gesellschaft war, stand er zuweilen, ehe man es sich versahe, mit den Worten, vom Stuhle auf: Es ist Zeit, daß man zu Bette geht! und fing an sich auszukleiden. Doch bald kam er wieder zu sich, und nahm beschaͤmt und traurig Abschied.
Nun graͤmte er sich, daß der Superintendent Bedenken trug, ihn ferner predigen zu lassen; der es doch endlich, auf sein flehendliches Bitten und Versichern, er habe den Zufall eine Zeitlang nicht gehabt, noch einmal geschehen ließ. Er brachte zwar die Predigt gluͤcklich zu Ende, da er aber die Abkuͤndigungen herlesen sollte, uͤberfiel ihn die Krankheit, die doch schon wieder vorbei war, als ihn der Kuͤster von der Kanzel fuͤhren wollte; so daß er allein herunter gieng, weil der Cantor den Gesang schon angefangen hatte.
Da er nun nicht mehr predigen durfte, vermehrte sich seine Niedergeschlagenheit taͤglich, und sein Verstand ward zusehends schwaͤcher. Er quaͤlte sich mit der Vorstellung, daß man ihn sehr hasse, und aller Laster schuld gaͤbe. Z.B. so oft ein uneheliches Kind zur Welt kam, graͤmte er sich, daß man ihn im Verdacht haben moͤchte, er sey der Vater dazu. Zuweilen hoͤrte er eine Stimme vom
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/35>, abgerufen am 16.02.2025. |